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Aquöducte ganze Wasserbäche zuleiteten, erstanden allenthalben Bader jeder Gattung in
grosser Zahl. Damals entwickelte sich die Scheidung der Balnea, der Badeanstalten in
der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, und der Thermen, die, über jenes Mass weit
hinausgehend, wie jene des Caracalla und Titus, förmlich zu kleinen Städten anwuchsen
und Mittelpunkte des geselligen Lebens wurden. Manche vornehme Römer brachten den
ganzen Tag in jenen Thermen zu; es war da das Baden trotz seines Rafiinements zur
Nebensache geworden. Spaziergange, körperliche Uebungen, Schauspieler, Declamatoren
und Redner boten Zerstreuung und eigene Bibliotheken ermöglichten den Besuchern selbst
ernster-e Beschäftigung. All' diesen Bedürfnissen entsprechend, hatte sich auch die Bau-
weise dieser Raume ausgebildet, von den einfacheren älteren Bädern in Pompeji bis zu
den riesigen Anlagen der Caracalla-Thermen. Professor Baumer hatte sich zur Erläuterung
seines Vortrages grossartige, künstlerisch ausgeführte Ansichten und zahlreiche Grundrisse
sammtlicher besprochenen Bauohjecte zu verschaEen gewusst und mit deren Hilfe gelang
es ihm, ein klares, in das Detail eingehendes Bild von den Bestandtheilen solcher römi-
schen Thermen zu entwerfen.
Am zweiten Abende besprach er die Wiederaufnndung der riesigen Bnureste von
den Titus- und Caracalla-Thermen im 16. Jahrhundert, dann die wiederholten Recon-
structionsversuche seit Palladio und Scamoui bis auf unser Jahrhundert, da uns durch die
gelehrten Architekten Cameron, Ponce, Piranesi und Bluet jetzt das Wesen jener Anstalten
so ziemlich klargelegt ist. Nach einer eingehenden Schilderung von deren prunkender
Decoration, welche selbst dem erfindungsreichen Raphael eine Fülle von Motiven zur
Ausschmückung seiner Loggien im Vatican darbot, und nach Angabe der kolossalen Raum-
verhältnisse jener antiken Musterbauten, deren Fortbestehen bis auf den heutigen Tag nur
die Barbarei der folgenden Jahrhunderte verhindert hat, war leider das gewöhnliche Zeit-
mass einer Vorlesung bereits weit überschritten. Prof. Baumer hatte sich überdies im
Verlaufe seines Vortrages zu einzelnen kleinen Excursen, wie über das richtige Zusammen-
arbeiten des Architekten mit dem Bildhauer und Maler, oder über die Wiener Bauweise,
verglichen mit der römischen und der_ heutigen pariser Art, veranlasst gesehen. Nach
alledem war er gezwungen, auf die Entwicklung der römischen Bäder im Orient, wo ihre
wesentlichen Bestandtheile beibehalten wurden, nur im Fluge hinzuweisen. Von dort
führte dieselben, aber mit bedeutend verbesserter Ventilation, der irische Arzt Pachter
zuerst in seiner Heimat ein, von wo sie den Weg nach England und Deutschland, neue-
stens auch zu uns nach Wien fanden. Der Hinweis auf die englischen Fabriksherren,
welche in praktischer Würdigung der sanitaren Wichtigkeit von Bädern neben den Woh-
nungen ihrer Arbeiter meist auc ein Badhaus errichten, sowie ein Appell an den Wohl-
thatigkeitasinn der Oesterreicher, auch den ärmeren Classen das Baden möglichst zugäng-
lich zu machen, und an die Architekten, bei Neubauten ja nicht auf die Anlage eines
Badezimmers, als eines der wesentlichsten Erfordernisse eines Hauses, zu vergessen,
schloss den beifallig aufgenommenen Vortrag.
An den Abenden des 3., lo. und 17. December folgten dann die Vortrage des Re-
gierungsraths v. Falke über "das englische Haus-i. Er hatte sich gerade dieses Thema
erkoren, weil sich das englische Haus am meisten national, dem Boden, auf dem es er-
wachsen, eigenthümlich, mit einer uns fremden organischen Gliederung entwickelt hat.
Entgegen unserem Gesichtspunkte, die wir meist nur von der Strasse aus über die Schön-
heit eines Hauses aburtheilen, waren bei der Ausbildung des heutigen englischen Hauses
besonders dessen drei Haupteigenschaften massgebend: I. der abgeschlossene, private Theil
der Gemächer, namentlich für den weiblichen Theil der Familie; 2. Trennung der Fa-
milienabtheilung von den gesammten Räumen für Küche und Dienerschaft; 3. bequeme
Verbindung der Räume bei der nothwendigen Absonderung. Von alledem findet sich
natürlich in den ältesten Zeiten keine Spur und Falke gab in seiner bekannten lichtvollen
Weise eine treüliche Darstellung von der geschichtlichen Entwicklung, welche das eng-
lische Haus von seinen Anfängen her genommen hatte. Nicht die Villa der römischen
Heerführer lieferte die Basis, sondern das nordische altsachsische Haus, wie es sich
noch heute in der Heimat der eingewanderten Angelsachsen als grossraumiges, schmuck-
loses Bauernhaus, blos vom Zimmermann gefertigt, vorfindet.
Die Eroberung Englands_ durch die Normannen im eilften Jahrhunderte brachte
hierin eine gründliche Veränderung zu Stande. Jene hatten in ihrem französischen
Stammlande an den alten römischen Bauten das Bauen in Stein gelernt und in ihrer
Eigenschaft als kriegerische Herren über ein stets kampfbereites Volk errichteten sie
allenthalben im Lande feste Thurmburgen von mehreren Stockwerken, wie sich eine solche
in dem weissen Thurm des Tower noch erhalten hat. Erst als die Zeiten sicherer, die
Verhältnisse stabiler wurden, stie en sie von ihren genug unwohnlichen Burgen in die
Ebene nieder und wandelten das ohnhaus ihrer angelsächsischen Wirthschaftsleute und
Pächter, ihren eigenen höheren Lebensansprüchen entsprechend, um in der Zeit, da der
normannische Styl in den gothischen überging und der specielle Geist des Mittelalters in