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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1875 / 112)

seine schonsten Formen trat. Die (lmbildung dauerte einige Jahrhunderte hindurch und 
selbst die grosse Strömung der Renaissance blieb dem sogenannten Elisabeth-Styl in 
England gegenüber machtlos. Das englische Haus hatte nämlich bei seinem Aufbau von 
innen heraus nach den Erfordernissen comfortablen Lebens bereits ziemlich feste Gestalt 
gewonnen, wie sie noch heute als Muster gilt. Nur die äussere Anordnung mit unregel- 
massigem Luftprolil und scheinbar willkürlichem Vorspringen oder Zurücktreten einzelner 
Tlzeyile konnte noch, trotz des unleugbar malerischen Gesammteindrucks, eine Moclification 
er a ren. 
ln dem zweiten Vortrage legte der Redner die architektonische Revolution dar, die 
zu Anfang des 17 Jahrhunderts in Folge der Einführung des italienischen Palladio-Styles 
durch lnigo Jones allenthalben in England um sich griE. Da musste vor Allem die 
fruherey nur das Bedurfniss beachtende Unregelmassigkeit einer streng symmetrischen An- 
lage der Räume um den rechteckigen Saulenhof herum weichen, den die italienische Villa 
in Nachahmung des römischen Atriums zu ihrem charakteristischen Hauptbestandtheil 
gemacht hatte. Das nordische Klima zwang natürlich, diesen Hof, den sogenannten Saloon, 
zu überdecken, aber die doppelte OefTnung desselben, nach dem Garten und nach der 
Einfahrt, würdigte ihn zu einer blossen raumverschwendenden Durchgangshalle herab. 
Den Prachtgemächern der Herrenwohnung mehr Wurde zu verleihen, wurden dieselben 
über ein Basament, ein Untergeschoss, erhöht, in welchem die Diener und Wirthschafts- 
raurnlichkeiten Platz fanden. Das Hauptaugenmerk wandte sich jedoch der Schaffung 
einer Fassade zu mit imposanter Wirkung, durch grosse, ungebrochene Linien, breite 
Massen, Colonnaden, freies Gesimse. Porticus u. s. w., lauter Zusätze, die aus dem Hause 
ein Kunstwerk, einen Schonheitsbau machten, im Gegensatze zu dem alten Bedurfnissbau 
mit comfortablen Wohnungen. 
Auf diese legte der Engländer seit jeher ein besonderes Gewicht und so ist es be- 
greiflich, dass gegen Ende des i8. Jahrhunderts gegen den importirten unbequemen 
fremden Styl ein nationaler Rückschlag sich geltend zu machen begann. Patriotismus 
und die Sentimentalität und Romantik jener Zeit liess die unfachmännischen Kreise, von 
denen die Bewegung ausging, nach den gothischen Formen des Mittelalters zurückgreifen 
und oft genug wahre Carricaturbauten aufrichten. Bald legte aber gelautertes archäolo- 
gisches und bauliches Verstandniss klar, dass das englische Haus nicht in der Gothik, 
sondern im Elisabeth-Styl seine Ausbildung erlangt hatte; nun wurde also dieser mit 
geringen zeitgemassen Modißcationen erneuert. Die Gothik jedoch blieb und ist noch 
heutzutage fast der ausschliessliche Styl für Kirchen und Anstalten wie Schulen und Spi- 
täler, in mannigfacher Verbildung als die verrufene englische Gothik des 19. Jahrhun- 
derts. Dabei war aber auch der Palladio-Styl durchaus nicht ertodtet, die Edinburger 
Architekturschule schuf einen eigenthumlichen schottischen Baronialstyl und dazu holte 
man sich noch von Frankreich her den Pavillonstyl mit seinen steilen, abgestutzten Py- 
ramidendächern. 
ln dieser Art ging es immer weiter, so dass heute mit Wiederauffrischung der ur- 
alten romanischen und gothischen Formen in England zehn oder eilf Stylgattungen mit 
einander in einem Kampfe liegen, von dem Herr Falke eine humoristisch gefärbte, tretT- 
liche Charakteristik lieferte. 
Der dritte Vortrag war der Besprechung der Innenräume eines englischen Hauses 
auf dem Lande und in der Stadt gewidmet. Von einer Geschichte des Stadthauses lasst 
sich nicht viel erzählen, da über das 17. Jahrhundert zurück nicht viel derartige Bauten 
erhalten sind, in Folge ihrer leichten Zusammensetzung aus Holz und Ziegeln. Sobald 
aber die Städte um jene Zeit zu wachsen begannen. erhielten ihre Strassen schon jene 
erschrecklich langweilige Architektur, bei der ein Haus dem andern gleicht und nur die 
Zahl der Eingangsthuren die einzelnen Häuser unterscheiden lässt. Die einzige Zier ist 
meist eben das Portal mit Saulchen und Architrav, vielleicht eine letzte Reminiscenz an 
den früheren Palladio-Styl; das vertiefte Gärtchen vor dem Hause, mit einer kleinen 
saulengetragenen Brücke zum Eingange hinüber, hat weniger einen decorativen Zweck, 
als jenen der grösseren Abscheidung der Hausbewohner von der Srrasse. Erst in jüngster 
Zeit ging von den öffentlichen und Gesellschaftshausern eine gewisse architektonische 
Reform. die Fassadenliebhaberei, auch auf Privatbauten über, indem mehrere Häuser zu 
einem grossetf Palast, meist in italienischer Renaissance, zusammengefassbwerden. Auf 
das lnncre der Hauser hat dies keinen Einfluss und Herr v. Falke entwarf nun ein Bild 
von den typischen Eigenthmnlichkeiten einer englischen Wohnung in Vertheilung der 
Raume, Mohlirun u. s. w., deren Princip im Ganzen durchgängig vom Palaste bis zum 
Cottage gleichblei t, nur nach Grösse und Zahl ditferirend. Hinweise auf unsere Verhalt- 
nisse legten uns manche Veränderung als wünschenswerth nahe, ohne jedoch alle eng- 
lischen Bräuche als die einzig nachzuahmenden hinzustellen. Seit zehn Jahren macht 
sich betrefs der Decoration ein bedeutender Fortschritt kund in Folge des Aufblühens 
der Kunstindustrie, die auf die verrufenen plumpen englischen Formen mässigend wirkt.
	        
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