seine schonsten Formen trat. Die (lmbildung dauerte einige Jahrhunderte hindurch und
selbst die grosse Strömung der Renaissance blieb dem sogenannten Elisabeth-Styl in
England gegenüber machtlos. Das englische Haus hatte nämlich bei seinem Aufbau von
innen heraus nach den Erfordernissen comfortablen Lebens bereits ziemlich feste Gestalt
gewonnen, wie sie noch heute als Muster gilt. Nur die äussere Anordnung mit unregel-
massigem Luftprolil und scheinbar willkürlichem Vorspringen oder Zurücktreten einzelner
Tlzeyile konnte noch, trotz des unleugbar malerischen Gesammteindrucks, eine Moclification
er a ren.
ln dem zweiten Vortrage legte der Redner die architektonische Revolution dar, die
zu Anfang des 17 Jahrhunderts in Folge der Einführung des italienischen Palladio-Styles
durch lnigo Jones allenthalben in England um sich griE. Da musste vor Allem die
fruherey nur das Bedurfniss beachtende Unregelmassigkeit einer streng symmetrischen An-
lage der Räume um den rechteckigen Saulenhof herum weichen, den die italienische Villa
in Nachahmung des römischen Atriums zu ihrem charakteristischen Hauptbestandtheil
gemacht hatte. Das nordische Klima zwang natürlich, diesen Hof, den sogenannten Saloon,
zu überdecken, aber die doppelte OefTnung desselben, nach dem Garten und nach der
Einfahrt, würdigte ihn zu einer blossen raumverschwendenden Durchgangshalle herab.
Den Prachtgemächern der Herrenwohnung mehr Wurde zu verleihen, wurden dieselben
über ein Basament, ein Untergeschoss, erhöht, in welchem die Diener und Wirthschafts-
raurnlichkeiten Platz fanden. Das Hauptaugenmerk wandte sich jedoch der Schaffung
einer Fassade zu mit imposanter Wirkung, durch grosse, ungebrochene Linien, breite
Massen, Colonnaden, freies Gesimse. Porticus u. s. w., lauter Zusätze, die aus dem Hause
ein Kunstwerk, einen Schonheitsbau machten, im Gegensatze zu dem alten Bedurfnissbau
mit comfortablen Wohnungen.
Auf diese legte der Engländer seit jeher ein besonderes Gewicht und so ist es be-
greiflich, dass gegen Ende des i8. Jahrhunderts gegen den importirten unbequemen
fremden Styl ein nationaler Rückschlag sich geltend zu machen begann. Patriotismus
und die Sentimentalität und Romantik jener Zeit liess die unfachmännischen Kreise, von
denen die Bewegung ausging, nach den gothischen Formen des Mittelalters zurückgreifen
und oft genug wahre Carricaturbauten aufrichten. Bald legte aber gelautertes archäolo-
gisches und bauliches Verstandniss klar, dass das englische Haus nicht in der Gothik,
sondern im Elisabeth-Styl seine Ausbildung erlangt hatte; nun wurde also dieser mit
geringen zeitgemassen Modißcationen erneuert. Die Gothik jedoch blieb und ist noch
heutzutage fast der ausschliessliche Styl für Kirchen und Anstalten wie Schulen und Spi-
täler, in mannigfacher Verbildung als die verrufene englische Gothik des 19. Jahrhun-
derts. Dabei war aber auch der Palladio-Styl durchaus nicht ertodtet, die Edinburger
Architekturschule schuf einen eigenthumlichen schottischen Baronialstyl und dazu holte
man sich noch von Frankreich her den Pavillonstyl mit seinen steilen, abgestutzten Py-
ramidendächern.
ln dieser Art ging es immer weiter, so dass heute mit Wiederauffrischung der ur-
alten romanischen und gothischen Formen in England zehn oder eilf Stylgattungen mit
einander in einem Kampfe liegen, von dem Herr Falke eine humoristisch gefärbte, tretT-
liche Charakteristik lieferte.
Der dritte Vortrag war der Besprechung der Innenräume eines englischen Hauses
auf dem Lande und in der Stadt gewidmet. Von einer Geschichte des Stadthauses lasst
sich nicht viel erzählen, da über das 17. Jahrhundert zurück nicht viel derartige Bauten
erhalten sind, in Folge ihrer leichten Zusammensetzung aus Holz und Ziegeln. Sobald
aber die Städte um jene Zeit zu wachsen begannen. erhielten ihre Strassen schon jene
erschrecklich langweilige Architektur, bei der ein Haus dem andern gleicht und nur die
Zahl der Eingangsthuren die einzelnen Häuser unterscheiden lässt. Die einzige Zier ist
meist eben das Portal mit Saulchen und Architrav, vielleicht eine letzte Reminiscenz an
den früheren Palladio-Styl; das vertiefte Gärtchen vor dem Hause, mit einer kleinen
saulengetragenen Brücke zum Eingange hinüber, hat weniger einen decorativen Zweck,
als jenen der grösseren Abscheidung der Hausbewohner von der Srrasse. Erst in jüngster
Zeit ging von den öffentlichen und Gesellschaftshausern eine gewisse architektonische
Reform. die Fassadenliebhaberei, auch auf Privatbauten über, indem mehrere Häuser zu
einem grossetf Palast, meist in italienischer Renaissance, zusammengefassbwerden. Auf
das lnncre der Hauser hat dies keinen Einfluss und Herr v. Falke entwarf nun ein Bild
von den typischen Eigenthmnlichkeiten einer englischen Wohnung in Vertheilung der
Raume, Mohlirun u. s. w., deren Princip im Ganzen durchgängig vom Palaste bis zum
Cottage gleichblei t, nur nach Grösse und Zahl ditferirend. Hinweise auf unsere Verhalt-
nisse legten uns manche Veränderung als wünschenswerth nahe, ohne jedoch alle eng-
lischen Bräuche als die einzig nachzuahmenden hinzustellen. Seit zehn Jahren macht
sich betrefs der Decoration ein bedeutender Fortschritt kund in Folge des Aufblühens
der Kunstindustrie, die auf die verrufenen plumpen englischen Formen mässigend wirkt.