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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1876 / 126)

Das Mittelalter befand sich also noch im Vollbesitze jener Gesetze der Polychromie, 
welche wir schon an den ältesten uns bekannten asiatischen und ägyptischen Bauwerken, 
befolgt sehen und welche ihrem Wesen nach auch im Laufe der Jahrtausende ihres Be- 
stehens nur wenig modificirt wurden. 
Erst die Renaissance fasste, da man beim Studium der antiken Baufragmente die 
Farben nicht mehr vorfand, die Architektur und unter Umständen auch die Decoration 
monnchrom auf, obwohl andererseits die zu nie dagewesener Höhe sich entwickelnde Ma- 
lerei zur farbigen Ausschmückung der Innenräume hinzuleiten schien. Allein die alte Tra- 
dition war einmal unterbrochen, und die bald einer rasch wechselnden Mode verfallende 
Decorationsweise, insbesondere aber die Ausartungen des Barocco beweisen, wie die festen 
Principien, welche die Kunst in früherer Zeit beherrschten. nach und nach sich verloren. 
Erst in neuester Zeit gelangt man durch gründliches Studium der alten Kunstdeukmäler 
wieder zum Verstandniss der Polychromie; insbesondere hat die Aufdeckung von Pompeji 
diese Erkenntniss gefördert. und es ist zu helfen, dass der neu erwachte Sinn für farbigen 
Schmuck bald eine durchgreifendekeform in unserem Decorationswesen hervorrufen werden: 
Vorlesungen im Museum. 
Am 20. und 17. Janner hielt Custos Dr. llg zwei Vorträge über Terminologie und 
Stil der Spitzen, erlautert durch zahlreiche Musterbucher und Proben von Meister- 
leistungen auf diesem Gebiete. In der Einleitung bezeichnete der Vortragende die Tracht als 
das einzige Gebiet, welches sich in der fröhlichen Renaissance der allbewaltigenden Antike 
gegenüber aus den mittelalterlichen Formen frei entwickelte. In Venedig, welches damals, 
wie heute Paris, in allen Modesachen den Ton angab, stand die XViege der Spitze; die Her- 
stellung der zackenförmigen Merli, der Netzspitze mit mannigfach combinirter geometrischer 
Zeichnung, tveiters der geschnittenen und der wunderbaren Reliefspitze mit reizender freier 
Renaissanceornamentik (punti a fogliami, a spina, dei vermicelli, point de rose) war da- 
selbst eine Lieblingsbeschäftigung der edelsten Damen und im Profangebrauchc wie im 
Dienste der Kirche begleitete dieser Schmuck das ganze Lehen der damaligen Menschen. 
Die Genueser Klüppelspitzen gelangten mit ihrem zahnradartigen Abstehen der Verzierungen 
tdaherDentelli, Dentellarheißfaits aufuseau) und den fransenartigen Macrame erst im tyJnhrl-t. 
zu grössterßedetitung auf dem Marltte von Frankreich und England. Andere italienische Städte, 
wie Padua, Siena, Bologna, Florenz, Rom und unser Ragusa, sind durch tretfliche Muster- 
bücher oder durch alteArbeiten als Pliegestatten dieser edlen Frauenarbeit documentirt. Nach 
Spanien ist die Spitzenindustrie von Italien und den Niederlanden aus gebracht worden. 
doch erfreuten sich die points düispagne, eigentlich mehr eine Art von Stickerei, bald 
ausgebreiteter Beliebtheit. und noch unter Maria Theresia durften der Rector Magnificus 
und die Decane der Wiener Universität zu ihrem Prunkgetvande blos diese Gattung ver- 
wenden. In Deutschland ist das Spitzenwesen trotz der ausserordentlich günstigen Vora 
hedingungen nie zu besonderer Herrlichkeit gediehen. Bei der wachsenden Vorliebe für 
ausländische Tracht wurden auch die Spitzen ein bedeutender Einfuhrartikel und selbst 
die Einwanderung kunstfertiger französischer Protestanten wurde nicht gehörig ausgenützt. 
Der Name der deutschen Spitzen wurde in das Ausland am meisten noch durch die 
Kloppelci des sächsischen Erzgebirges getragen, welche von der hochverstandigen edlen 
Nürnberger-in Barbara Uttmann um die Mitte des t6. Jahrhunderts zu Annaberg durch 
herbeigerufene Arbeiterinnen aus den Niederlanden begründet wurde. Bereits ein Jahrhundert 
später genossen 30.000 Menschen die Früchte dieses wohlthatigen Unternehmens und die 
Nachahmungen der Brosseler Spitzen im sächsischen und böhmischen Erzgebirge waren 
"im 18. Jahrhunderte in Frankreich ein gesuchter Artikel. Sonst hat sich in Oesterreich 
mit Ausnahme von Laibach und ldria wohl an manchen Orten eine Hausindustrie mit in- 
teressanten Leistungen, aber ungeachtet vielfacher Förderung durch die Regierung keine 
heimische Specialitat in der Spitzenfabrication entwickelt. - In dern zweiten Vortrage 
stellte Dr. Ilg die Niederlande mit ihrer Spitzenkunst als die Antipnden Italiens hin, so- 
wohl in der Technik, welche vorwiegend Klöppelei ist, als in dem allgemeinen Kunst- 
charaitter, der mehr den Reiz einer geistvollen Radirung, eines hingeworfenen naturalistischen 
lmpromptu hat gegenüber der klaren Bestimmtheit in dem constructiven Zeichnungsgerippe 
der italienischen Merli. Trotz der Blüthe der heimischen Industrie unter dem Einflusse 
eines regen Verkehres mit Italien zur Zeit Carls des Kühnen von Burgund datirt doch für 
alle im Spitzenfaclte zur Bedeutung gelangten Städte die Epoche ihres Ruhmes erst seit 
jenen Tagen, als Belgien unter dem milden Regimente österreichischer Erzherzoge die 
Wunden der vorausgegangenen Religions- und Freiheitskriege vernarben fühlte. Die ersten 
Producte waren Nachahmungen italienischer Nadelspitzen, aber mit der Wiederkehr des 
Friedens ändert sich der Geschmack und beginnt die selbständige Entwicklung. Dabei 
sondert sich, wie in der grossen Kunst, auch auf diesem Gebiete bald Stadt von Stadt, 
Landschaft von Landschaft, und gestalten sich schulenartige Gruppen, deren Locale in den
	        
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