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Aus der Kunstwelt Aktuelles
Museum des 20. Jahrhunderts -
Beethoven-Environment
Bevor sie noch zu elektroverstärkten
Musikexperimenten eröffnet wurde,
gab es bereits einigen Stunk; die von
der Neuen Galerie in Aachen über-
nommene und mit iubiläumsbedingter
Verspätung ins Wiener Museum des
20. Jahrhunderts transferierte Beet-
hoven-Schau erregte zwar nicht die
Gemüter der bedingungslosen Partei-
gänger iener sattsam bekannten tri-
vialen Beethaven-Aura, in die im
Verlaufe von Jahrhunderten von
kitschigen Gipsreliquien bis zur
politischen Gesinnung alles nur
Erdenkliche hineinverwurschtet wurde,
sondern ausgeredinet die betont
progressiven Künstler und eine als
deren Wortführer durch Fresseaus-
sendungen agierende bundes-
deutsche Galerie namens Kümmel.
Sie erbosten sich freilich nicht wegen
der gezielten „Beethoven-Schändung"
als vielmehr über eine van Doktor
Schmeller vorgenommene „Kunst-
zensur". Diese bestand darin, daß der
agile Wiener Museumsmann aus
„qualitativen und räumlichen Grün-
den", aber auch aus „Gründen, die mit
der Wiener Mentalität zusammen-
hängen", einige Exponate der ur-
sprünglichen Aachener Schau seinen
Landsleuten vorenthielt. Haupt-
betroffener: Otto Dressler, selbst-
ernannter „Verfremder" aus Moos-
ach, dessen Beethoven-Sitzbilder und
-Stühle im Zwanzigerhaus fehlten.
Eine vertragliche oder mündliche
Verpflichtung, das gesamte ursprüng-
liche Kontingent auch in Wien zu
zeigen, bestand für Schmeller nicht.
Inwieweit freilich Schmellers zweites
Argument taktisch klug formuliert
wurde, sei dahingestellt. Eine derartie
Antwort fordert naturgemäß zur
Polemik heraus. Grundsätzlich außer
Streit müßte allerdings das Recht eines
Museumsdirektors gestellt werden,
nach eigenem Gutdünken darüber zu
entscheiden, inwieweit ihm etwas
zeigenswert erscheint oder nicht. Es
ist dies nichts anderes als eine
Anwendung des Prinzips der Freiheit
für die Kunst selbst einschließlich
sämtlicher daraus resultierender
Folgen. Jedes Pro oder Kontra
erfordert Begründung, die ohnedies im
Falle fehlender Stichhältigkeit oder
mangelnder Glaubwürdigkeit auf
denienigen, der entschieden hat,
zurückfällt.
Nicht anders verhält es sich im
konkreten Fall. Und nicht anders war
es auch - will man da wie dort dem
Gesagten Glauben schenken - voriges
Jahr in Linz, als Walter Kasten aus
ebenfalls sehr konkreten Gründen
zwei Bilder des Wiener Malers Franz
Ringel aus einer Ausstellung der
Neuen Galerie entfernte und deshalb
gerade aus Wien herbe Kritik und
den Vorwurf, reaktionär zu sein, ein-
stecken mußte.
Daß im vorliegenden Streitfall auch die
Legitimität der sich zum Anwalt
verschiedener Obiekthersteller
machenden Galerie nur zum Teil
gegeben war, sei nur am Rande
vermerkt. Sie fehlte z. B. hinsichtlich
des solidarischen Zurückziehens der
Arbeit von Stefan Wewerka völlig,
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befindet sich doch dessen zum Inter-
essantesten der Schau zählendes
„Kinderzimmer Ludwig van" schon
seit längerem im Eigentum der
renommierten Kölner Sammlung
Ludwig.
Die durch ein abwechslungsreiches
Rahmenprogramm ergänzte Schau
bestand größtenteils aus Requisiten
und Kulissen für den vielumstrittenen
Film „Ludwig van" des Avantgarde-
komponisten Mauricio Kagel. Zu
ihnen zählten die verfremdeten
Beethoven-Zimmer von Ursula Burg-
hardt, Stefan Wewerka, Dieter Rot,
Robert Filliou und Kagel selbst, der
das nachgebildete Musikzimmer des
Meisters mit Beethoven-Partituren
überklebte. Ergänzend dazu wurden in
die parallel zur Brauer-Ausstellung
laufende Schau auch noch plastische
Obiekte, Grafiken und konzept-
ähnliche Fotografien vorwiegend
bundesdeutscher Künstler
aufgenommen. Sie trafen sich trotz
unterschiedlichster Qualität und
Witzigkeit im Wunsch nach
Enttabuisierung bestehender
Beethoven-Klischees und einer - mit
den Mitteln bildnerischer Ironie und
Verfremdung vorgenommenen -
Kampfansage an die Auswüchse eines
Kultes, der zu den untersuchens-
wertesten kultursoziologischen
Phänomenen der Neuzeit zählt (Ab-
bildung l, 2).
Secession - Zeichnen heute;
Linda Christanell, Hans Escher,
Schrott-Presse
Mit einer überaus interessanten, doch
was die Durchführung betrifft eher
problematischen, unbefriedigenden
und zu sehr unter Zeitdruck stehenden
Ausstellung machte über das Fest-
wochengedränge hinaus die Wiener
Secession bekannt. „Zeichnen heute"
lautete der Titel der didaktischen
Schau, deren Idee und hauptsächliche
Durchführung dem Bildhauer, Zeichner
und Radierer Alfred Hrdlicka zu
danken war.
„Zeichnen heute" wollte unter Ver-
zicht auf ästhetische Wertung und
ohne „Protektionskinder einer
ideologischen oder ästhetischen
Masche" die wohl wichtigste, rein
lineare, grafische Ausdrucksmöglich-
keit des Menschen massiv und in
aller Vielfalt im Bewußtsein der
Öffentlichkeit verankern. Die Gründe
dafür kann man einerseits in der
heute oft zu vernehmenden Infrage-
stellun des konventionellen Tafel-
bildes (und damit auch der der
Zeichnung) sehen, andererseits aber
auch in der demgegenüber eher
positiven Tatsache, daß noch nie so
viel und so verschiedenartig
gezeichnet wurde wie eben in unserer
Zeit.
Begleitet von einem lesenswerten,
reich illustrierten Katalog, konfron-
tierte die Exposition mit technischen
Zeichnungen und Plänen, mit Toilette-
kritzeleien und Pornographien, Wet-
terkarten, Unfallskizzen, mit Arbeiten
von Geisteskranken, Häftlingen und
Kindern, anatomischen Zeichnungen
und bekritzelten Drudrerzeugnissen,
nicht zuletzt aber auch mit zahlreichen
Zeugnissen freier Kunst zumeist aus
dem Kreis der Secessionsmitglieder.
Die thematische Spannweite, die somit
erzielt wurde, war natürlich enorm.
Sie reichte bis zu dem von Hrdlicka
aufgegriffenen eigentlichen Anlaß der
gesamten Schau: iener Skizze, die
der im Frühiahr in Düsseldorf
erschossene Wiener Ausbrecherkänig
Heinz Karrer im Voriahr an die
Redaktion eines bundeshauptstädti-
schen Boulevardblattes schickte. Sie
enthielt die genaue Verstecksangabe
der Pistolen, die Karrer Exekutiv-
beamten bei seiner spektakulären
Flucht abgenommen hatte und in der
Absicht zurückstellte, nicht auch noch
wegen Raubes angeklagt werden zu
können.
In seiner Mannigfaltigkeit war das
höchst unterschiedliche Material für
den Besucher iedoch schon deshalb
schwer zu bewältigen, weil auch die
Präsentation selbst zuwenig anschau-
lich ausfiel und damit eine klare
Uberschaubarkeit und Vergleichsbasis
verhinderte. Dennoch muß man der
Secession zu dem schwierigen und
ausgefallenen Versuche gratulieren.
Das Bemühen, die gesamte soziolo-
gische Bezugsvielfalt zeichnerischer
Dokumentationen aufzuzeigen, sie als
gesellschaftliche Realität zu unter-
streichen und damit vielleicht anzu-
regen, sich mit einzelnen derartigen
Phänomenen gezielter auseinander-
zusetzen, verdient zweifellos über-
Iokale Beachtung (Abb. 3-7).
Unter den zahlreichen verdienstvollen
kleineren Ausstellungen in der Club-
Galerie der Secession sei diesmal
stellvertretend auf iene der Wiener
Bildnerin Linda Christanell hingewie-
sen. Christanells Obiekte bringen
Positionen des Ästhetisch-Formaten
und, bedingt durch den weiten
Assoziationsspielraum, auch solche
inhaltlicher Bezug- und Stellungnahme.
Kunst verweist damit einmal mehr auf
die Relativität ieder Bewertung und
stellt im notwendigen Wechselspiel
von Pro und Kontra alten Kriterien
neue zur Seite. Auch das ist die
Absicht der farbigen Schaumstott- und
Plexiglasobiekte von Linda Christanell,
denen bei ihrer iüngsten Präsentation
der hierzulande sonst ausgiebig
geübte Vorwurf des Kunstgewerb-
lichen als einer Vorschubleistung
beabsichtigter Nichtstellungnahme und
Fehleinschätzung erfreulicherweise
erspart blieb. Als voneinander ab-
hängige und einander ergänzende
Experimente verbinden die Arbeiten
von Linda Christanell klare bild-
nerische Absichten und Folgerungen.
Historische Rückgriffe iüngeren Datums
finden dabei ihre schöpferische
Ergänzung in den Ansprüchen und
Folgerungen, die auf Grund neuer
und ausgesprochen eigenständiger
bildnerischer Zusammenhänge und
Umsetzungen zu Aussagen werden.
Die Absicht einer sinnlichen Zur-
kenntnisnahme der vielfältig stell-,
leg- und hängbaren Objekte, dieser
nicht selten unangenehm berührenden
..plastischen Zeichen im Raum",
könnte vor allem durch das Ausschalten
von Lethargie und intellektuellem
Hochmut als den wohl sdiädlichsten
Extremen ieder Art von geistiger Aus-
einandersetzung begünstigt werden.
Eine interessante, dem Experimi
zugetane Ausstellung, die iedoc
wie fast alle kleineren Expositic
der Wiener Künstlervereinigung
Nachteile einer zu kurzen Laufz
spüren bekam (Abb. 8).
Hans Escher, neben Hrdlicka, h
Eisler, Schönwald und Schwaige
entfernt dem Kreis der Wiener
Naturalisten zuzurechnen, zeigt
längerer Pause eine Einzelaus:
mit 55 Zeichnungen und Radieru
in den oberen Räumlichkeiten d
Secession. Escher, dessen harter
prägnanter Strich selbst unter d
Nur-Zeichnern eine Besonderhe
stellt, kommt zweifellos entsche
vom Expressionismus her, hat si
iedoch vor allem in den letzten
zu einer durchaus eigenständig
empfundenen Haltung durchgeri
die man als distanzierten, nücht
Realismus umschreiben konnte (
auch unsere Abbildung). Sein
Engagement für den Menschen l
seine sozialen Probleme ist glai
würdig und gelangt dort zu den
stärksten umgesetzten Ergebniss
wo Escher Bildkonzeption und
thematische Deutungsmöglichke
reduziert und auf jedes Iiteraris
Ausholen verzichtet. Dies geling
am besten in den stärker abstra
Blättern des reinen Schwarz-We
die in ihrer Summe - zumindest
diese Ausstellung betraf - den I
stiftzeichnungen vorzuziehen w:
Um das Gesagte zu konkretisie
auf zwei die Isolation des heuti
Menschen treffend charakterisi
Blätter hingewiesen, die nach A
des Rezensenten zum Besten dei
Exposition zählten: Eschers Fedi
zeichnung mit dem Titel „Straße
übergang" aus 1968 und die au
selben Jahr datierte „Stehweinh
ein Blatt, dessen grafisch spar
reiche Anlage der beabsichtigte
inhaltlichen Aussage durchaus a
erscheint (Abb. 9).
Ihr zehniähriges Bestandsiubiläl
feierte im Anschluß an die Aus:
Eschers die Schroll-Presse. Aus i
Anlaß ließ die von Kristian Sotr
geleitete Edition Revue passiere
in zäher Aufbauarbeit und mit
lohnenswertem Durchhaltevermi
mit im allgemeinen qualitätvoll
gewählten Arbeiten für Üsterrei
Druckgrafik insgesamt geleistet
In der Sdiroll-Presse erschienen
beinahe allen wichtigeren Grafi
unseres Landes originalgrafischi
Werke in zumeist mit 80 handsig
und numerierten Exemplaren be
schränkten Auflagen. Dank der
Schroll-Presse fanden vor allem
iunge Sammler einen intensiver:
Zugang zur Kunst unserer Zeit, '
neben der strukturellen Richtigk
Unternehmens vor allem die
vernünftige Preisbildung der vor
Schroll angebotenen, inzwischer
im Ausland geschätzten Blätter
wesentlich beitrug (Abb. lO, ll).
Galerie Ariadne -
Jürgen Messensee
Zu den wichtigsten und beachtei
wertesten Ausstellungen der Wi
Festwochen zählte auch die Per:
neuer Ulbilder, Zeichnungen un-