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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe III (1888 / 3)

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verlieren. Die gleiche Beziehung erhalten jene Thierbilder, auch wohl 
einzelne Pflanzen und Gesteine. In solcher Zusammenstellung - allemal 
ein Bild aus dem neuen Testament mit einem oder zwei aus dem alten 
Testament und einer Darstellung aus dem Thierphysiologus - entstehen 
nun Reihen von Bildern, die, zu einem ganzen Werke vereinigt, die Biblia 
pauperum, die Bibel der Armen, bilden. Sie sollte die Armen, die nicht 
schreiben und lesen konnten, gewissermaßen durch einen Anschauungs- 
unterricht belehren, daher der Name. Es ist nun wohl möglich, dass die 
Bedeutung dieser Bilderkreise dem armen Volke von damals mit Hilfe 
erläuternder Predigten geläuüg war, obwohl einiger Zweifel erlaubt ist, 
da die Bedeutung damals schon eine schwankende war, ein und dasselbe 
Bild Verschiedenes, ja Entgegengesetztes vorstellen konnte, wie z. B. 
David den Erlöser bedeutete, aber auch den Teufel. Für die heutige 
Gegenwart hat die Typologie alle Bedeutung verloren, da sie, außer einer 
sehr kleinen Zahl von Gelehrten, von niemand verstanden wird. 
Im Mittelalter, im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, ist die 
Typologie in einer ziemlichen Zahl reich geschmückter Manuscripte und 
später in den sogenannten Blockbüchern niedergelegt. Für die Ausmalung 
der Kirchenwände scheint sie weniger Bedeutung gehabt zu haben, soweit 
wir aus den erhaltenen Ueberresten zu schließen vermögen. Diese nahmen 
direct die Gegenstände der Bibel zum Vorwurf, oder die Legenden der 
Heiligen, insbesondere aber jener Heiligen, welchen die Kirche gewidmet war. 
Erhalten ist nun freilich aus romanischer Zeit von kirchlicher Wand- 
malerei nordwärts der Alpen äußerst wenig, mehr allerdings aus der 
Uebergangsepoche und der früheren gothischen Zeit. Vom Standpunkt 
der Kunst betrachtet, lässt das viel zu wünschen übrig. Die Maler, wenn 
auch sich befreiend von kirchlichen Vorschriften und nicht gebunden wie 
die Byzantiner, hatten kaum angefangen, sich die Natur anzusehen. Es 
kam ihnen auch nicht darauf an, die Dinge und Menschen so darzu- 
stellen, wie sie wirklich sind; die Bedeutung, das, was die Malereien 
vurstellten, war die Hauptsache. Das Nackte wurde nicht studirt und 
konnte daher nicht dargestellt werden; und schwach und oberflächlich 
wie die Körperzeichnung war auch die des Ausdruckes, höchst kümmer- 
lich die Wiedergabe der inneren Empfindung. 
Dennoch haben die Malereien dieser Epoche des dreizehnten und 
vierzehnten Jahrhunderts viel Anziehendes, ja manches Schöne. Die Ge- 
stalten sind schmiegsam, die Bewegungen der Arme, der Hände, des 
Kopfes, wenn auch zuweilen unbeholfen, doch anmuthig, sanft, mit einer 
Hinneigung zu leiser Sentimentalität, wie es der Epoche des minnig- 
lichen Frauencultus entsprechend erscheint. Es liegt etwas Weibliches 
in der Ausdrucksweise dieser Kunstepoche. Die Zeichnung der Falten, 
denen die lange, Hießende, natürlich gebildete Kleidung mit dem feinen 
Wollstoff zu Hilfe kommt, ist schön, edel in langen, sanft geschwungenen 
Linien ohne Härte und Eckigkeit.
	        
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