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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe III (1888 / 6)

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jedoch vergrößerte sich die Fabrication der glatten uni-Gewebe rasend, 
während die der faconnirten Gewebe ebenso schnell abnahm. Man konnte 
des geschickteren Arbeiters mehr und mehr entbehren. Der Lohn für den 
zur Maschine gewordenen Arbeiter sank auf einen Minimalbetrag. Unter 
diesen Umständen musste die Industrie sinken, musste sich das Arbeiter- 
material verschlechtern und sich der Volkswohlstand vermindern. Der 
Werth der Fabrication der glatten Stoffe stieg von x42 Millionen Francs 
des Jahres 1855 auf 324 Millionen des Jahres 187i; im beinahe gleichen 
Zeiträume von 18 Jahren fiel der Werth der Fabrication der faconnirten 
Stoffe von 39 Millionen Francs des Jahres 1855 auf x31, Millionen des 
Jahres 1873. Die Abnahme der Kunst in der Industrie ist die Veran- 
lassung zum socialen Niedergang, ihre Wiedereinführung das Morgenroth 
socialen Wohlstandes. 
Eine nach den bestehenden Verhältnissen wichtige Frage ist die, ob 
die hauptsächlich von der Großindustrie beschrittenen Wege (die Klein- 
industrie weicht zu ihrem Vortheile ab von diesem Wege), sich die ge- 
werbliche Kunst dienstbar zu machen, die richtigen sind. Will der Indu- 
strielle sich die Kunst dienstbar machen, so tritt ihm als erste platonische 
Forderung entgegen, dass er seinen kaufmännischen Standpunkt bis zu 
einem gewissen Grade negirt; er darf nicht auf unmittelbaren Erfolg 
rechnen, ein Umstand, der in seiner positiven Form allerdings unzer- 
trennlich mit der kaufmännischen Gesinnung zusammenhängt. Denn die 
Kunst ist keine absurde ldee, die, heute in die Welt gesetzt, gleich 
Millionen begeistert und in Folge dieser Begeisterung einen glänzenden 
Geschäftsausblick gewährt, morgen aber schon ihren Untergang sieht; 
sondern die Kunst ist ein vEwigesw, das, wenn es mit den richtigen 
Mitteln angewendet wird, einen dauernden Bestand hat. Und selbst für 
unsere heutigen, sich so schnell verändernden industrieverhältnisse ist 
sowohl in materieller wie in spiritueller Hinsicht nichts förderlicher, als 
die Dauer, die Beständigkeit. 
Mit dieser Erkenntniss ist zugleich eine der höchsten Aufgaben des 
gewerblichen Unterrichtswesens, soweit es die Kunst mit in den Kreis 
seines Schaffens zieht, vorgezeichnet. Die gewerblichen Fachschulen sind 
die Sendboten, welche, von einer Centrale ausgeschickt, allenthalben das 
Evangelium der wgewerblichen Kunstu, der wangewandten Kunst-w ver- 
breiten sollen. Sie sollen gleichermaßen in die Hütte, in welcher die 
Hausindustrie die Stätte ihrer emsigen Thätigkeit findet, und in den 
lndustriepalast mit seiner dem Leben des Bienenkorbes ähnlichen Ge- 
schäftigkeit vordringen, um hierhin jene Lehren zu verpflanzen, deren 
Befolgung den vergangenen Jahrhunderten ein so bedeutendes Ueber- 
gewicht dem unseren gegenüber verleiht. Freilich hatten jene Zeiten nicht 
mit der heute zu einer leitenden Macht im lndustriewesen gewordenen 
Maschinienarbeit zu kämpfen, eine Macht, welche geeignet ist, der Kunst 
nicht nur keine Unterstützung zu leihen, sondern noch jede künstlerische 
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