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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IV (1889 / 4)

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stellte Decorationswände anfragen, mit mehr phantastischen Ziermotiven 
in leichteren, luftigen Umrissen; 
das andere System führt den Wandumschluss des Zimmers bis zu 
dem Deckungsgesims einheitlich durch, bedient sich jedoch - statt der 
Säulen -- der schmächtigeren Candelaberstäbe, die leichter in die Höhe 
hinanwachsen. 
Dieser zweite Typus spricht den Begriff des Zimmers, des ge- 
schlossenen lnterieurs mit einer gewissen rationellen Klarheit aus. Man 
hätte sich wohl bei dieser Anordnung begnügen können; aber der Reiz 
der perspectivischen Wirkungen hatte für den antiken Decorations- 
geschmack etwas so Fesselndes, dass man sich immer wieder mit Vor- 
liebe zu jenem ersten Typus zurückwandte. Man fuhr also fort, gleich- 
sam zwei Decorationen hintereinander zu stellen, eine raumschließende 
und eine raumöffnende; sie verhielten sich zu einander wie Wahrheit und 
Dichtung in der decorativen Kunst. Die erstere hielt sich ihrer Be- 
stimmung nach mehr an das Reale und Wahrscheinliche, die andere 
schweifte mit ihren Concetti in's Abenteuerliche hinüber und ließ im 
Hintergründe ihre Architekturmärchen, ihre Luftschlösser und Zauber- 
hallen aufsteigen. Gegen diese Phantasiebildungen eifert mit nergelndem 
Unwillen der nüchterne Vitruv, der ausschließlich nur Darstellungen aus 
dem Bereich der wirklichen Dinge gestattete; die bekannte Stelle steht 
in der Nachbarschaft der oben citirten lib. Vll., cap. V. 3. 4. Sicherlich 
hat nicht minder die Casa Farnesina, welche wohl unter den Augen 
Vitruvs (oder kurz vorher) decorirt wurde, keine Gnade vor seinem 
Richterspruch gefunden. 
Sehr bald erkannte man auch die große scenische Wirkung der seit- 
lichen perspectivischen Durchblicke, die noch nicht in's Programm des 
farnesinischen Hauses gehören, aber bereits im Haus des Germanicus 
versuchsweise auftreten. Dort zu beiden Seiten des scheinbar vertretenden, 
mittleren Säulenbaues des Tablinum sieht man in Straßen hinein, aber 
durch Pforten, welche sich in der Wand hiefür öffnen. Dadurch war 
dieser EHect in der decurativen Logik erklärt und vermittelt. ln der 
pompeianischen Decorationspraxis bekümrnerte man sich aber in kürzester 
Zeit nicht weiter um eine solche Vermittlung. Farbige Wandflächen mit 
bildlicher Ausstattung, mit schwebenden Figuren in der Mitte etc. um- 
stellen den Raum, und diese wechseln ganz unmotivirt mit perspectivischen 
Durchbrechungen, in denen der fabulirende Pinsel seine Zauberspiele 
treibt. Die überschlanken baulichen Motive, gleichsam aus der Verstei- 
nerung herausgeschlüpft, strecken und dehnen sich ohne Hinderniss und 
Widerstand; Säulenschäfte verwandeln sich in Schilfrohre oder Lampen- 
ständer, kleine Rundtempelchen sind auf leichten Postamenten schwebend 
emporgehoben. Diese Entfesselung einer allerdings liebenswürdigen deco- 
rativen Willkür, die völlige Auslieferung der Bauformen an ein gaukelndes 
Spiel musste zur Auflösung des Architekturstiles führen. Der reine Or- 
Jnhrg. 188g. 7
	        
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