372
- Radzieher - in unbequemer Weise drehen lassen mussten. Indem
durch diese Verbesserung in der That die Glas- und Steinschneiderei
auf eine viel höhere Stufe gehoben wurde, sei es nur als eine kleine
Uebertreibung anzusehen, wenn das Privileg Lehmann wirklich zum
"Erfindern der Kunst stemple. Sein Schleifstuhl ist in der Folge immer
derselbe geblieben und nur die Räder, Instrumente und andere Werk-
zeuge sind von den Schwanhardt und anderen Nachfolgern des berühmten
Meisters noch verbessert worden, so dass Sandrart das Schleifen zu seiner
Zeit (1675) ein vLustspielu gegen die erste harte Arbeit nennt.
Friedrich's Anschauung scheint mir sehr plausibel. Er bemerkt ferner,
dass Lehmann'sche Gläser in den Kunstkammern von Wien und München
vorkommen; erstgenannter Ort besitzt aber leider kein einziges. Nun hat
sich aber das schöne Glas im fürstlich Schwarzenbergkchen Besitz im
Schlosse Frauenberg in Böhmen gefunden, welches, wie ich in diesen
"Mittheilungenß vor Kurzem angezeigt habe, Professor Koula in seinem
interessanten Werke in zwei Darstellungen wiedergegeben hat, von
welchen die eine das Gefäß von der Vorderseite zeigt, die andere die
vollständige Developpirung des eingeschliffenen Dessins. Statt jeglicher
Beschreibung verweise ich auf diese ganz genügenden Aufnahmen und
bemerke blos, dass auf dem sich nach oben trichterförmig erweiternden
Gefäßkörper drei thronende Frauen dargestellt sind, von denen die mittlere
en face, die seitlich sitzenden en prof-il zu sehen sind. Links (heraldisch)
erblicken wir - laut Ueberschrift - Liberalitas mit einem Sacke, welchem
Münzen entquellen; in der Rechten hält sie einen großen, kreisrunden
Gegenstand an einem kurzen Stiel (einen Spiegel?), auf dessen Rand
ein Falter sitzt. Die Potestas zur Rechten hält Scepter und Palme in
Händen, beider Häupter sind unbedeckt. Dagegen trägt Nobilitas in der
Mitte eine deutlich der österreichischen sogenannten Hauskrone nach-
gebildete Krone, deren heute in der Wiener Schatzkammer bewahrtes
Original bekanntlich 1602 auf Befehl Rudolf ll., wahrscheinlich durch
David Attemstetter in Augsburg, angefertigt wurde, also drei Jahre vor
Vollendung des 1605 datirten Glases. Der Thron der mittleren Figur
ist mit so reichem Schnörkelwerk versehen, dass man ihn fast schon dem
reifen deutschen Barockstil zutheilen möchte und erstaunt ist, dergleichen
schon 1605 anzutreffen; die Rücklehne geht in phantastische, harpyen-
ähnliche Figuren aus. Neben diesen sehr barocken Motiven finden wir
am eingebogenen FuBrande des, wie Koula trelfend sagt, vollständig in
seiner Gesammtform an gleichzeitige deutsche Schmelzfarbengläser erin-
nernden Bechers Bündel von Früchten, welche in ihrem Stiltypus sofort
an die beliebten Verzierungen Jost Amman's gemahnen. Zwischen den
Figuren sind Blumenvasen mit Bouquets und hoch emporwachseinde
Ranken von Nelken, Rosen etc. angebracht, auf deren Blüthen Schmetter-
linge, Motten, Spinnen ihr Wesen treiben, - eine Decoration, bei deren
Anblick man wieder an den Geschmack der Schule .lamnitzer's denken