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ausnahmsweise begegnet man in elementaren Fortbilduugsschulen Zeich-
nungen nach historischen Compositionen (z. B. aus der Schöpfungs-
geschichte des alten Testamentes) oder complicirten Blumenstücken nach
Vorlagen. Auch die Benützung französischer Vorlagenwerke ist seltener
geworden, als es früher der Fall war, wo Julien ausschliesslich dominirte.
Es lassen sich bei dem nicht ganz genügenden Stande des Lehrapparates
noch immer französische Vorlagenwerke nicht ganz entbehren, so wie sich
der Einiluss der herrschenden Kunstanschauungen nicht immer abweisen
lässt. Aber bedauerlich bleibt dies immer; denn die französischen Vor-
lagen greifen häufig störend iu den methodischen Gang des Unterrichtes
ein und verwirren die Köpfe des Arbeiterstandes, der eben in seinen Kunst-
anschauungen durch den Zeichenunterricht gefestigt werden soll; und die
Zeichnungen nach Vorlagen der deutschen Renaissance sind, da die deutsche
Renaissance auf den Schultern der italienischen ruht, nur für jenen Zeichner
und Handwerker erfolgreich zu benützen, welcher überhaupt in den Grund-
elementen der Renaissance wohl bewandert ist. Sonst erzeugt sie schwül-
stige Ornamente, überladene Formen und die Neigung, gedanken- und
principienlos zu arbeiten. Man kann nur erschrecken, wenn man Vorlagen
aus der w-Gewerbehalleu, aus Hirth's sonst trefflichem Formenschatze in
den Händen von Tischlergehilfen und Gesellen in gewerblichen Fortbildungs-
schulen erblickt, welche nicht einmal in den Elementen der Säulenord-
nungen bewandert sind. Es ist ia gar nicht möglich, dass Vorlagen ähnlicher
Art verstanden werden. Noch bedauerlicher ist, wenn man in diesen Schulen
schon an das Componiren geht. Man sollte solche Aufgaben, bei denen
ein Zögling in elementaren Entwürfen seiner Phantasie und seiner Er-
findungsgabe Luft zu machen strebt, gar nicht Compositionsaufgaben
nennen, wenn man erwägt, wie schwer es ist, Cornpositißnen zu entwerfen,
undwie selten ein Lehrer und Meister geistig kräftig genug ist, um com-
poniren zu können; denn die Aufgabe eines geschulten Arbeiterstandes
ist in erster Linie, eine bestimmt begrenzte Aufgabe tüchtig und verständig
ausführen; das eigentliche Entwerfen und noch mehr das eigentliche Er-
finden steht ihm ferner; am wenigsten kann es Aufgabe in gewerblichen
Fortbildungsschulen sein, Anleitung zum Entwerfen zu geben und com-
plicirte Schmuckkästchen im wmexicanischen und gothischenu Style dem
Publicum vorzuführen.
Es ist wahr, dass der Stand unserer Gehilfen und Arbeiter oft die
sehr bedenkliche Neigung hat, den Pegasus zu besteigen und einen Flug
in das Reich der Phantasie zu unternehmen - aber gewiss hat Niemand
Ursache, diese Neigung der modernen Menschen, mehr zu erscheinen, als
sie sind, noch durch Schulen zu unterstützen - und es liegt darin eine
grosse Gefahr, vor der nicht genug gewarnt werden kann.
Fortbildungsschulen, Baugewerkschulen und Anstalten ähnlicher Art
sind einzig und allein bestimmt, den wArbeiterstandu zu schulen. Der
Unterricht muss so ertheilt werden, dass bei den Besuchern desselben die
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