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die Gefahr, von welcher sie gegenwärtig fbei uns bedroht ist, vor-
übergehen.
Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass wir die Arbeiten selber,
wie wir sie in München auf der Ausstellung sehen, soweit sie dem
Mobiliar und der Wohnungseinrichtung angehören, in ihrem künstle-
rischen Charakter billigen oder loben wollen. Es liegt in allen diesen
Arbeiten ein gemeinsamer Zug, der auch den deutschen Originalarbeiten
aus der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts angehört, der Zug
nach Uebertreibung, nach dem Zuviel des Guten. Zu viel Profilirung,
zu viel Ornament, zu viel Arbeit - das alte Wort: weniger wäre mehr
gewesen, ist gar häufig am Platze. Das schöne Maß, welches das Kunst-
werk erst zum vollendeten macht und es über den zeitlichen Werth zu
einem bleibenden für alle Zeiten erhebt, das ist es, was den deutschen
Arbeiten abgeht. Und das gilt nicht blos vom Mobiliar, wenn es auch
bei diesem am meisten in die Augen fällt. Das ganze deutsche Kunst-
gewerbe, wie es uns auf dieser Münchener Ausstellung entgegentritt,
macht uns den Eindruck, wenn wir mit den Leistungen von 1876 einen
Vergleich ziehen, als ob es außerordentlich viel gelernt hätte, und zwar
recht gleichmäßig durch alle deutschen Lande. Aber, des neu Erlernten,
des neuen Könnens froh, ergeht es sich in einer Anwendung desselben,
welche wohl seiner Leistungsfähigkeit, nicht aber seinem Geschmacke
Ehre macht. Das künstlerische Urtheil steht nicht auf der Höhe des
technischen Könnens. Vom volkswirthschaftlichen Standpunkt aus hat
das freilich auch seine gute Seite. Es weist auf einen, wenn auch künst-
lerisch unvollendeten, jedoch geschäftlich blühenden Zustand des Kunst-
gewerbes hin; es zeigt, dass demselben viele und bedeutende Aufgaben
gestellt werden, dass die Production, auch die reiche, ihren Absatz findet,
dass es nicht ein Kleingewerbe ist, welches für die Ehren der Ausstellung
die letzten und verzweifeltsten Anstrengungen macht.
Dieser gemeinsame Zug des Zuviel, der Ueberschreitung des Maßes
schließt natürlich nicht aus, dass die Ausstellung auch Gutes und Voll-
kommenes bietet. Wir rechnen nicht dahin die für König Ludwig ll.
gemachten Arbeiten, welche zum Theil mit Geschick erfunden und Hott
gemacht, zum Theil aber auch von äußerster Roheit in Geschmack und
Arbeit sind, wie z. B. die blauen Wände mit den aufgepappten goldenen
Ornamenten und Figuren. Wohl aber gehören zu den Ausnahmen die
Arbeiten der Berliner und Meißener Porzellanfabriken, deren Anblick uns
immer auf's Neue den Verlust der Wiener Fabrik bedauern lässt. Wir
rechnen auch dahin zahlreiche Goldschmiedarbeiten, sowohl von München
wie von den Sitzen der exportirenden Goldschmiedekunst im südwest-
lichen Deutschland. Es sind reine und schöne Arbeiten darunter, sowohl
in größeren Gegenständen, in Pocalen,Tafelaufsätzen und Ehrengeschenken,
wie im Gold- und Juwelenschmuck. Und wenn man das Ganze dieses in
überaus reichhaltiger Weise ausgestellten Zweiges der Kunstindustrie