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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe III (1888 / 10)

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Familie oder seines Hausgesindes dienen sollen. Um die Hausindustrie 
in dieser reinsten Form zu sehen, brauchen wir nicht in jene patriar- 
chalischen Zeiten zurückzugeben, wo Jedermann sich seine Stiefeln selbst 
nähte und sein Bier selbst braute: die mährischen Vorsegnetücher wie 
die syrmischen gewirkten Wolldecken, die in den letzten Jahren durch 
Händler so massenhaft aus den Truhen der Besitzer auf den Markt 
gebracht wurden und die in den meisten Fällen kein höheres Alter bean- 
spruchen können als etwa einhundert Jahre, sind auch nicht für den 
Markt oder auf Bestellung gearbeitet, sondern an den langen Winter- 
abenden von den weiblichen Familienmitgliedern zum Hausgebrauche 
gewirkt und gestickt worden. Davon ist nun freilich in der modernen 
Textilindustrie des Bregenzer Waldes keine Rede. Material, Muster und 
Maschine bezieht der Sticker oder die Stickerin - wobei schon die zahl- 
reiche Betheiligung des männlichen Geschlechtes für die Erwerbstendenz 
des ganzen Betriebes charakteristisch ist - aus der Schweiz. Für die 
Hand bleiben nur jene Functionen reservirt, 'die der Maschine vorläufig 
noch unerreichbar sind: es ist dies wenig genug und wird täglich noch 
weniger. Dass dabei für die Bethätigung der Kunststickerei durch die 
menschliche Hand wenig oder gar kein Spielraum übrig bleibt, versteht 
sich von selbst. Ist die Stickerei vollendet, so gelangt sie wieder zurück 
an den nFerggerc, der als Mittelsmann zwischen Fabrikanten und Sticker 
bereits die Zuweisung des Rohmateriales und der Vorlage besorgte und 
nun gleichfalls die Löhne ausbezahlt, und durch den Fergger an eine 
der zahlreichen Fabriksfirmen in und um St. Gallen, um noch die 
Schlussproceduren durchzumachen und dann als "Schweizer Artikeln 
blank und nett in die Welt zu gehen. So weit also die Gebrauchs- 
bestimmung in Betracht kommt, ist diese Stickerei-Industrie eine eminent 
marktmäßige; auch der Umstand, dass zur Herstellung fast ausschließlich 
Maschinen verwendet werden, kennzeichnet die Fabrikswaare. Und doch 
lässt sich - wenigstens im Bregenzer Walde - immerhin von einer 
Hausindustrie reden. Denn die Arbeit wird für's erste durchwegs in's 
Haus gegeben, nicht an einer größeren gemeinsamen Arbeitsstätte ver- 
richtet. Vor Allem aber ist der Umstand zu beachten, dass die Stickerei 
im Allgemeinen doch nur als Nebenerwerb neben der Land- und Haus- 
wirthschaft betrieben wird, daher vorwiegend im Winter, weit schwächer 
in der besseren Jahreszeit. Die wirthschaftlichen Folgen dieser eigen- 
thümlichen Verhältnisse sind für das Land äußerst wohlthätige. Während 
in vielen Gegenden Tirols der karge Boden seinem Bebauer nicht den 
nöthigen Unterhalt gewährt, weil die Viehtriften allein dazu nicht aus- 
reichen, Vin Folge dessen die Noth vielfach zur Auswanderung zwingt, 
wird der Besucher des Bregenzer Waldes freudig überrascht durch das 
stattliche Aussehen der Bewohner in Tracht und Gestalt, ihrer Häuser 
in Geräumigkeit und Ausstattung. Es macht dies der lohnende Erwerb, 
der die Leute vor Entbehrungen schützt, ohne dass sie die socialen
	        
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