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auf diese Weise das Gebiet der Plastik eher verengt als erweitert, und
doch hängt die Fortentwicklung der Plastik in Wien wesentlich davon ab,
dass der Kreis der Bedürfnisse sich erweitert, die zu befriedigen die Plastik
berufen ist.
Die Stadterweiterung hat das Terrain für bildhauerische Thätigkeit
ungeheuer erweitert; aber im Ganzen und im Grossen den Strom der
Kunst mehr verbreitert als vertieft und mehr Gelegenheit geschaffen für
Bildhauer, die sich mit decorativeniAufgaben beschäftigen. Wer die figu-
rale Plastik auf dem Stadterweiterungs-Terrain mit geistigem Maßstabe
misst und die verschiedenen Werke prüft vom Albrechts-Brunnen ange-
fangen, bis zu jenen Figuren, welche das grosse Zinshaus gegenüber der
Facade der Stephanskirche schmücken, wenn dieser Ausdruck gestattet ist,
der wird selten ein plastisches Werk finden, das gut gedacht und mit
künstlerischer Gewissenhaftigkeit durchgeführt ist. Gute plastische Werke
sind bei den Stadterweiterungsbauten Ausnahmen; die Regel ist, dass sie
ungenügend sind. Der Mangel an künstlerischer Gestaltungskraft, die ge-
ringe geistige Musse, die die Bildhauer, welche solche _Aufgaben zu lösen
haben, zu dem Werke verwenden konnten, das Benützen eines Materiales,
welches die plastische Form nicht begünstigt, die ausserordentlich niede-
ren Preise und der ungünstige Einfluss, welchen theilweise auch die Bau-
unternehrnungen auf die Plastik nahmen, alles Das hemmte in der Zeit
der Blüthe der Baugesellschaften die figurale Plastik. Es scheint manchen
massgebenden Persönlichkeiten, mögen dies Architekten oder Baugesell-
schaften, Privat- oder öffentlichelPersonen sein, nur darum zu thun ge-
wesen zu sein, dass eine bestimmte Figur an einem gegebenen Platz mit
einer leidlichen Contur aufgerichtet wurde; das plastische Werk selbst
scheint nur wenige interessirt zu haben. Und gerade bei einem Knnstzweige,
wie es die Plastik ist, deren Bedeutung selbst dem gebildeten Publicum
nicht ganz klar ist, bei einem Kunstzweige, dessen höhere Entwicklung
wir Alle unverrückt im Auge behalten müssen, ist es unerlässlich nöthig,
bei der Wahl der Personen, denen künstlerische Aufgaben zugewiesen
werden, mit grosser Vorsicht vorzugehen. Denn die Mittelmässigkeit drückt
jede Kunst; das wirkliche Talent und eine hervorragende Leistung sind
es allein, welche im Stande sind den Kunstzweig zu heben und die Be-
deutung der Plastik Allen einleuchtend zu machen. Kein Werk eines
österreichischen Künstlers hat seine Mission in so glänzender Weise durch-
zuführen verstanden, als das Standbild Schuberfs, welches den Stadtpark
ziert. In der Kunst werden eben die Talente nicht gezählt, sondern ge-
wogen, und die Majorität bilden immer diejenigen, deren Leistungsfähigkeit
eine geringere ist; die wirklichen Talente sind überall und waren zu allen
Zeiten in der Minorität. Dem Talente muss auf plastischem Gebiete die
Bahn geöffnet werden, und es muss demselben die Möglichkeit geboten
werden sich zu entfalten.