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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1877 / 136)

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auf diese Weise das Gebiet der Plastik eher verengt als erweitert, und 
doch hängt die Fortentwicklung der Plastik in Wien wesentlich davon ab, 
dass der Kreis der Bedürfnisse sich erweitert, die zu befriedigen die Plastik 
berufen ist. 
Die Stadterweiterung hat das Terrain für bildhauerische Thätigkeit 
ungeheuer erweitert; aber im Ganzen und im Grossen den Strom der 
Kunst mehr verbreitert als vertieft und mehr Gelegenheit geschaffen für 
Bildhauer, die sich mit decorativeniAufgaben beschäftigen. Wer die figu- 
rale Plastik auf dem Stadterweiterungs-Terrain mit geistigem Maßstabe 
misst und die verschiedenen Werke prüft vom Albrechts-Brunnen ange- 
fangen, bis zu jenen Figuren, welche das grosse Zinshaus gegenüber der 
Facade der Stephanskirche schmücken, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, 
der wird selten ein plastisches Werk finden, das gut gedacht und mit 
künstlerischer Gewissenhaftigkeit durchgeführt ist. Gute plastische Werke 
sind bei den Stadterweiterungsbauten Ausnahmen; die Regel ist, dass sie 
ungenügend sind. Der Mangel an künstlerischer Gestaltungskraft, die ge- 
ringe geistige Musse, die die Bildhauer, welche solche _Aufgaben zu lösen 
haben, zu dem Werke verwenden konnten, das Benützen eines Materiales, 
welches die plastische Form nicht begünstigt, die ausserordentlich niede- 
ren Preise und der ungünstige Einfluss, welchen theilweise auch die Bau- 
unternehrnungen auf die Plastik nahmen, alles Das hemmte in der Zeit 
der Blüthe der Baugesellschaften die figurale Plastik. Es scheint manchen 
massgebenden Persönlichkeiten, mögen dies Architekten oder Baugesell- 
schaften, Privat- oder öffentlichelPersonen sein, nur darum zu thun ge- 
wesen zu sein, dass eine bestimmte Figur an einem gegebenen Platz mit 
einer leidlichen Contur aufgerichtet wurde; das plastische Werk selbst 
scheint nur wenige interessirt zu haben. Und gerade bei einem Knnstzweige, 
wie es die Plastik ist, deren Bedeutung selbst dem gebildeten Publicum 
nicht ganz klar ist, bei einem Kunstzweige, dessen höhere Entwicklung 
wir Alle unverrückt im Auge behalten müssen, ist es unerlässlich nöthig, 
bei der Wahl der Personen, denen künstlerische Aufgaben zugewiesen 
werden, mit grosser Vorsicht vorzugehen. Denn die Mittelmässigkeit drückt 
jede Kunst; das wirkliche Talent und eine hervorragende Leistung sind 
es allein, welche im Stande sind den Kunstzweig zu heben und die Be- 
deutung der Plastik Allen einleuchtend zu machen. Kein Werk eines 
österreichischen Künstlers hat seine Mission in so glänzender Weise durch- 
zuführen verstanden, als das Standbild Schuberfs, welches den Stadtpark 
ziert. In der Kunst werden eben die Talente nicht gezählt, sondern ge- 
wogen, und die Majorität bilden immer diejenigen, deren Leistungsfähigkeit 
eine geringere ist; die wirklichen Talente sind überall und waren zu allen 
Zeiten in der Minorität. Dem Talente muss auf plastischem Gebiete die 
Bahn geöffnet werden, und es muss demselben die Möglichkeit geboten 
werden sich zu entfalten.
	        
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