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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1877 / 136)

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Deswegen auch ist es nöthig, auf die geistige Musse Gewicht zu legen, 
welche eine Grundbedingung eines jedweden künstlerischen Schadens hö- 
herer Art ist. Aber woher soll uns diese Musse kommen in diesen auf- 
geregten Zeiten, in der Hast des Bauens, in dem Drange des Fertigwer- 
dens, bei den niedrigen Preisen und bei der Ungeduld des Publicums, - 
diese geistige Musse, die Alle verlangen und die Niemand gewährt? Wir 
kommen vielleicht, indem wir diese Frage aufwerfen, auf den wundesten 
Punkt in unserem heutigen Kunstleben. Wir können darüber ganz offen 
sprechen, weil diese geistige Musse, die Ruhe im Schaffen, nicht blos der 
bildenden Kunst fehlt, auch im literarischen Leben ist sie gewichen. Das 
liegt in der Nervosität unserer Zeit und der geringen Werthschätzung 
einer höheren geistigen Leistungsfähigkeit. 
In den Zeiten des stürmischen, ruhelosen Baulebens ist das selbststän- 
dige plastische Werk gründlich bei Seite geschoben worden. Je schneller 
eine Gestalt fertig wurde und vor Allem, je wohlfeiler sie geliefert wurde, 
desto wünschenswerther erschien sie Vielen; ja es schien, als ob das ein 
ganz besonderer Vorzug sei, dass es Bildhauer gab, die rasch und wohlfeil 
zugleich den Bedürfnissen der betreffenden Bauherren zur Verfügung standen. 
Dass die geistige und sociale Misere die natürliche Folge solchen Gebah- 
rens war, das liegt klar auf der Hand, und wenn irgend einmal eine kun- 
dige Feder die Geschichte der Gegenwart schreiben wird, so wird man 
diejenigen zur Verantwortung ziehen, welche den Bildhauern die geistige 
Musse genommen und jenes Geschlecht gross gezogen haben, das nur 
schnell und wohlfeil arbeitet. Es gibt Zeiten, die in einer fortwährenden 
Selbsttäuschung sich befinden, und den raschen und momentanen Erfolg 
für wirklichen Fortschritt halten. Es ist gut, sich Beispiele aus solchen 
Zeiten vor Augen zu halten als Spiegelbild für die Gegenwart. Wie pries 
Giorgio Vasari seine Zeit, die es vermocht hat, grosse Gemälde, weitläufige 
Frescobilder schnell zu malen und dadurch Bewunderung zu erregen. Seine 
Zeit war ganz fortschrittlich gesinnt, und hatte glücklicherweise die Zeit 
eines Bellini, eines Francia und Perugino hinter sich, wo die Maler sorg- 
sam an der Staffelei sassen, ihre Werke gründlich durcharbeiteten und mit 
künstlerischer Gewissenhaftigkeit vollendeten; nwozu unsere alten Maler 
Jahre brauchenu, rief Vasari, vdas vollenden wir in wenigen Monatenu, und 
schon wenige Jahrzehnte nach Giorgio Vasari, wer kümmerte sich noch 
um die Bilder seiner Zeit, die mit Sturmesschritt dem Verfalle entgegen- 
gingen, während wir noch heute mit einer Bewunderung, welche sich 
von Jahr zu Jahr steigert, jene Bilder betrachten, die in geistiger Ruhe, 
in künstlerischer Musse und Gewissenhaftigkeit durchgeführt sind. 
So wird auch jene Plastik, welche die Hast des Baulebens geschaffen 
hat, spurlos vorübergehen und nur um ein Capitel unsere sociale Noth 
vermehren, während das in künstlerischer Weise geschaffene Bildwerk Ge- 
nerationen zu überdauern berufen ist. So vollzog sich in der Zeit der
	        
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