man gar nicht viel zu wissen und dieses wenige gibt er aus der Proportionslehrc von
Mann, Weib und Kind auf 4 Seiten Text und XIV Tafeln - in der jedenfalls sehr löb-
lichen Absicht, sein WVerk nicht zu vertheuern. -
Wenn wir schon entgegen dem Herrn Domschlte der Ansicht zuneigen, statt mit
geringem Wissen lasse man das figurale Zeichnen lieber ganz bleiben, so müssen wir
aber vollends die Art verurtheilen, in welcher der langjährige Lehrer hier seine Schüler
unterrichten will. Viel Gutes können diese aus den vorliegenden Tafeln nicht lernen.
Der Text verdirbt wenigstens nichts wegen seiner Kürze, abgesehen von der sonderbaren
Behauptung. dass der Unterschied in der Hüftenbteite zwischen Mann und Weib nur ein
scheinbarer sei. Die angefügten Tabellen mögen in den Maßen wohl im Ganzen richtig
sein, aber sie sind für den Künstler nicht sehr brauchbar, weil nur die absoluten Maße
ohne die Verhältnisszahl zur Gesammtlänge des Körpers oder zu einer von diesem ent-
nommenen Maßeinheit angegeben sind. Das Unglaubliche in Zeichnung leistet aber gleich
die erste Tafel mit der Darstellung der Augen. Die lris rechts oben ist wohl ein regel-
mässig ornamentirtes Rund, aber nicht das, was sie sein soll; Thränenwinkel und die
Dicke des Augenlides sind dort gezeichnet in Stellungen, wo sie gar nicht sichtbar sein
können und die Nr. tz-ly zeichnen sich durch, etwa kalligraphisch, manirirte und
durchaus falsche Linien aus, die Jedermann vergeblich in der Natur suchen würde. Was
soll, da uns der Raum zu weiterer Ausführung mangelt, die Einbuchtung bei Nr. 22 auf
Tafel ll? Eben so schlecht sind die Nummern S, u, 18, 23, 36, 38 auf Taf. lll, die Nase,
die Andeutung der Kinnladen auf Taf. VI. Ein erschrecklich verzeichneter Kinderkopf
ist auf Taf. Vll, wie überhaupt die Kinderformen die am meisten verunglückten bei
Herrn Domschke sind. Aber den Frauen ergeht es nicht besser auf Taf. XI. Vielleicht
ist jene Zeichnung mit ihren Abweichungen von Schadow sogar wirklich nach einem
Modelle gemacht, aber dann ist es immerhin misslich, gerade ein solches für das Normale
auszusuchen. Anderenfalls müssten wir es aufrichtig bedauern, wenn die Natur unser
weibliches Schönheitsideal auf der kurzen Strecke von Wien bis Berlin so grausam ver-
unstaltet hatte. Zum Belege für die Flüchtigkeit in der Zeichnung beachte man den
linken Fuss der Mittelfigur auf jener Tafel und mehrere Füsse auf Taf. Vlll und IX, an
welchen die grosse Zehe die Lange des halben Vorderftisses haben müsste. Doch ist
es wohl nicht ndthig, aus unserem grossen Vorrathe von nachweisbaren Fehlern in
Domschkek Zeichnungen noch mehrere aufzuzählen, um unsere Warnung vor diesem
Werke zu rechtfertigen. Dessen Zustandekommen in der vorliegenden Gestalt ist uns
nur erklarlich, wenn wir annehmen, dass Herr Domschke bestrebt gewesen sei, seinen
Schülern die Körperformen durch möglichst einfache Linien verständlich zu machen, dass
cr selbst aber im Laufe der Jahre ohne das Re ulative steten eigenen Naturstudiurns un-
bewusst in eine Schablone des Zeichnens gerieth, die von der Natur bereits himmelweit
absteht. Unter den Anfangen der Proporttonslehre, wie er sie bieten will, dürfen doch
nie und nimmer Vorbilder verstanden sein, die ein weiter fortschreitender Schüler nur
mit Mühe und Zeitverlust wieder abstossen muss.
Zeitschrift des Kunstgewerbevereines in Mll nchen. Jahrg. 1877.
München, im Verlage von G. Hirth in Leipzig und München.
Seit der Ausstellung in München 1876 pulsirt in dem dortigen Kunstgewerbe-
vereine frischeres Leben. Auch die Zeitschrift ist lebendiger und anregender geworden;
an dem Texte arbeiten mehrere hervorragende Schriftsteller, welche bemüht sind, Be-
lehrung über Kunst und Kunstgewerbe in weiteren Kreisen zu verbreiten. Es ist dies
um so anerkennenswerther, als mehrere ahnliche Organe den literarischen Theil be-
denklich einschränken oder fast ganz aufgeben. Bei der Unlust vieler unserer Künstler
und Kunsthandwerker, ihren Geist durch Lectüre zu bilden, ist dies zu beklagen. -
Unter den Abbildungen finden wir einige sehr schöne, wie Peter Candio's Thürklopfer,
Steinkrüge aus der Fabrik Trechen (1604) und Siegburg etc. Ist aber schon die Art und
Weise bedenklich, wie ein kleiner Stich von Beham vergrössert und in das neubarocke
Münchnerthum übersetzt wurde, so können wir uns nicht bestimmt genug gegen die
meisten Illustrationen (Initialen, Titelblätter etc.) aussprechen. Diese unkindlichen Kinder
mit dicken Bauchen, diese weiblichen Figuren mit fliegenden Gewändern und manirirtem
Cnstüme, deren Vorbilder der Verfallszeit der deutschen Renaissance entnommen sind,
stehen mit den schonen Bestrebungen der Münchener Kunstgewerbeschule in directem
Widerspruch. Es ist wiederholt aufmerksam gemacht worden _,_ dass die modernen deut-
schen Kunstgewerbe, wenn sie unkritisch sich an die Traditionen der deutschen Re-
naissance anlehnen, eine Verschlechterung des Geschmackes herbeiführen würden. Eine
Zeitschrift aber, wie jene des Münchener Kunstgewerbevereines, istnn erster Linie berufen,
Fahrerin des guten Geschmackes zu sein und sich von den manirirten Bestrebungen zu
emancipiren. von denen ein Theil der Münchener Künstler beherrscht wird.
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