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fullscreen: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 5)

gewissermaßen eine Völkerscheide überschritten hat, so auffällig sind die 
Unterschiede in der körperlichen Erscheinung, in der Tracht, in der 
baulichen Anlage der Höfe, in Hausrath und Kunst. Auf [diese Unter- 
schiede, auch nur so weit sie die Kunst betreffen, des Näheren einzu- 
gehen, würde uns zu weit führen, und ich muss mich begnügen, auf 
diese sowohl um ihrer selbst willen interessante, als auch für die ver- 
gleichende Ethnologie äußerst lehrreiche Erscheinung hier einfach nur 
hingewiesen zu haben. Für unseren augenblicklichen Zweck ist es aber 
nöthig, das Eine nachdrücklich hervorzuheben: die Verschiedenheit zwi- 
schen Nord- und Südruthenen äußert sich auch an den beiderseitigen 
Kilims. Freilich haben dieselben anderseits auch Vieles gemeinsam, wie 
überhaupt alle Kilims von der Donau bis Mesopotamien. Und wie die 
Südruthenen in allem Uebrigen als der originellere, von der internatio- 
nalen Cultur unberlihrtere Theil erscheinen, so tragen auch ihre Kilims 
im Allgemeinen einen primitiveren Charakter zur Schau. Aehnliche pri- 
mitive Ornamente fehlen aber auch nicht ganz auf den nordruthenischen 
Kilims, was erfahrungsgemäß noch gar nicht zwingend auf eine ehemalige 
Gemeinsamkeit der Kunst oder gar des Stammes schließen lässt. Wir 
wollen aber Alles, was mit der Frage nach einer etwa zu Grunde liegenden 
ethnographischen Verschiedenheit zusammenhängt, aus dem Spiele lassen 
und uns einfach mit der Feststellung der Thatsache begnügen, dass wir 
berechtigt sind, ein nördlicli des Dniestr gelegenes Kilimgebiet von einem 
südlich des Dniestr gelegenen zu unterscheiden. 
Von den beiden genannten Productionsgebieten des ruthenischen 
Kilim hat nun das südruthenische oder huzulische, insbesondere 
das in der Bukowina heimische, bisher im Allgemeinen mehr Aufmerk- 
samkeit außerhalb seiner engeren Heimat gefunden, als das nördlich 
des Dniestr gelegene. Namentlich die Wiener Weltausstellung vom Jahre 
1873 hat dazu beigetragen, die Wirkereiarbeiten der huzulischen Bauern 
der Bukowina - Teppiche, Taschen und Schürzen - in weiteren Kreisen 
bekannt zu machen. Dass diese Dinge aber eine besondere Aufmerk- 
samkeit damals erregt hätten, lässt sich nicht sagen, und noch weniger 
war dies derFall mit den nordruthenischen oder podolischen, die 
uns eigentlich erst durch die Wiener land- und forstwirthschaftliche Aus- 
stellung von 1890 näher bekannt gemacht worden sind. Der Grund dafür, 
dass die nordruthenischen Teppiche das Interesse der betheiligten Kreise 
bisher in noch minderem Grade erweckt haben als die südruthenischen, 
mag wahrscheinlich gerade darin gelegen haben, dass die nordruthenischen 
Teppiche zum größeren Theile nicht mehr einen so primitiven Charakter 
zur Schau tragen, wie die huzulischen, daher auch dem allherrschenden 
antiquarischen Sinne unserer Zeitgenossen nicht so bemerkenswerth er- 
schienen sein mochten, um es zu rechtfertigen, wenn man die Aufmerk- 
samkeit weiterer Kreise hätte darauf lenken wollen. In Folge dessen 
scheint man bisher übersehen zu haben, dass gerade der nordruthenische
	            		
89 Teppich gewisse historische Eigenthümlichkeiten aufzuweisen hat, die dem huzulischen fehlen und jenem daher ein besonderes Interesse ver- leihen. Während nämlich an den Kilirns südruthenischer Herkunft sich entweder blos einfache, also alterthümliche Elemente, oder aber aller- modernste Einflüsse, z. B. Muster aus Modejournalen vorfinden, bietet uns der nordruthenische Teppich unzweifelhafte Beispiele von vielfacher Beeinflussung durch die Kunst der dazwischenliegenden Zeit, der letzten zwei bis drei Jahrhunderte. Es entspricht oies völlig Demjenigen. was schon vorhin über das Verhältniss zwischen Nord- und Südruthenen im Allgemeinen gesagt wurde: während diese letzteren bis auf unsere Tage im Wesentlichen auf sich allein, auf ihr eigenes Volksthum und ihre tra- ditionelle Kunstübung beschränkt geblieben sind, haben die um das wich- tige politische Centrum Lemberg sitzenden Nordruthenen augenscheinlich frühzeitig den Einfluss der internationalen Kunst erfahren, was sich denn auch an gewissen Typen ihrer Kilims äußert. Darin beruht das besondere Interesse, das die nordruthenischen Kilims für sich in Anspruch nehmen dürfen; daher sollen auch meine diesmaligen Ausführungen ausschließlich den nördlich vom Dniestr erzeugten Kilims gelten. Das geographische Verbreitungsgebiet der nordruthenischen Teppiche fällt im Wesentlichen mit dem Begriffe Podoliens zusammen. Freilich hat dieser Begriff seit der Theilung Polens nicht mehr einen unmittelbaren politischen Hintergrund; aber die Entstehung und Verbreitung der da- selbst heute noch gangbaren historischen Teppichmuster geht in Zeiten zurück, da der Zbrucz noch nicht die Grenze zwischen zwei verschie- denen Reichen und verschiedenen Religionsbekenntnissen bildete. Ich habe einen Theil des heutigen russischen Gouvernements Podolien bereist und überall daselbst die gleichen Teppiche und Teppichmuster in Ge- brauch gefunden, wie auf österreichisch-podolischer Seite, obzwar in ganz Russisch-Podolien, mit einer einzigen Ausnahme die mit bessara- bischem Volksthum zusammenhängt, heute nirgends mehr ein Teppich- webstuhl in Betrieb steht. Auf galizischeni Gebiete fallen diejenigen Be- zirke, in welchen diese Teppiche heute noch erzeugt werden, in den historischen Begriff Podoliens, mit einziger Ausnahme des nördlichsten Gebietes von Zaloäce, das bereits in die historische Sphäre von Wolhynien hineinragt; da aber in Wolhynien weder auf österreichischer noch auf russischer Seite eine Kilimerzeugung in jüngerer Zeit nachgewiesen ist, dürfen wir auch dieses nördlichste galizische Teppichgebiet wenigstens kunsthistorisch unter das podolische subsumiren. Der podolische Bauer gebraucht seinen Kilim fast ausschließlich als Bettdecke. Der Kilim ist gerade groß genug, um das Ehebett damit zu- zudecken; die typischen Dimensionen sind also ungefähr 21]. Meter in der Länge und H], Meter in der Breite. Seinerzeit mag jeder Bauer daselbst seinen Kilim gehabt haben; heute ist er in den meisten Dörfern bereits ein Gegenstand des Luxus Einzelner geworden. Und unter den wenigen
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