Zeugniss seines edlen, liebenswürdigen, neidlosen Charakters.
Wenn manchmal, wenn auch nur selten, trübe Erlebnisse wie
dunkle Wolken über seine Seele zogen, so war es die Gleichgil-
tigkeit, mit der er gerade von jener Seite behandelt wurde, die
am meisten Ursache gehabt hätte, ihn zu großen Aufgaben der
Kunst zu berufen. Er sprach darüber wenig und nur in ganz
vertrauten Kreisen. Von seiner Vaterstadt, auf die er mit patrio-
tischern Stolze hinblickte, hat er nicht Einen Kunstauftrag erhalten;
der Gemeinderath Wiens kann nicht auf Ein Bauwerk hinweisen,
von dem er sagen könnte: zu diesem Werke haben wir unsern
Ehrenbürger Heinrich Ferstel berufen. Die Erzdiöcese hat dem
Erbauer der Votivkirche nicht Einen Auftrag zu einem Kirchenbau
in Niederösterreich gegeben. Hatte er doch ein volles Verständniss
für die Bedeutung der Kunst in der Kirche. Die Gedenkschrift zur
Regulirung Wiens, die er im Auftrage des Architektenvereines ver-
fasst hat, liegt unbeachtet in den Acten jenes Baudepartements,
dessen Reform das dringendste Bedürfniss für die Architektur
Oesterreichs ist. Er wäre der berufenste Bauminister des öster-
reichischen Reiches gewesen, wenn eine solche Stelle geschaffen
worden wäre. Als die Akademie der bildenden Künste in die
Lage kam, für Hansen einen Stellvertreter zu nominiren, wurde
einmüthig Ferstel genannt. Ich habe diese Bemerkungen nur
angedeutet, um einige Stellen in dem Briefe Ferstel's um Etwas
dem Verständnisse näher zu rücken.
Das einzige Ministerium, welches ihn zu einer großen Lehr-
und Bauthätigkeit berufen hat, war das Ministerium für Unter-
richt. Es übergab ihm eine für unsere Verhältnisse glänzend dotirte
Professur für Architektur an der technischen Hochschule Wiens,
legte schon früher den Bau des Oesterr. Museums, später jenen
der Universität in seine Hände, und würde zweifellos auch den
Bau jener Institute, welche zur Vervollständigung der Univer-
sität noch nothwendig sind, ihn haben ausführen lassen. Ferstel
gedenkt selbst in dem erwähnten Briefe seines Antheiles an der
Creirung jenes Styles, welcher in der Vulgärsprache der Architekten
beim Palast- und Wohnhausbau der vWlEDBT Stylu genannt wird,
der von Ferstel aber als dieWiederaufnahme der Bauformen
der italienischen Renaissance in unsere Profanbauten be-
zeichnet wird. Der Bau des Administrationsgebäudes des österr.
Lloyd in Triest, die Paläste des Erzherzogs Ludwig Victor, Wert-
heims, Hollitschers u. s. f., die Kunstformen seines Projectes für
den Parlamentsbau in Berlin entspringen dem Gedankenkreise von