MAK

Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XX (1885 / 233)

und französischen Architekten berathen gegenwärtig eingehend -jene Fragen, 
welche die sociale Stellung der Architekten berühren. 
Können oder sollen die Architekten einen Stand bilden oder sollen 
sie nur als Individuen, als Einzelkünstler betrachtet werden, wie die Maler 
oder die Bildhauer? Oder sollen sie wie Gewerbsleute betrachtet werden, 
denen gegenüber sie auf gesetzlichen Schutz ihres Standes keinen An- 
spruch haben? Sollen sie etwa nur als Zeichner, als dienendes Glied jenen 
Gewerben untergeordnet werden, welche, als Bauhandwerke corporative 
Rechte bereits besitzen? Diese Fragen schweben jetzt auf den Lippen 
aller Architekten, welche, ihres Künstlerberufes bewusst, nicht gewillt 
sind, ihre Stellung preiszugeben. 
Denn nicht von heute an datirt der Beruf des Architekten. Niemand 
hat denselben mit so deutlichen klaren Worten präcisirt, als Vitruv in den 
zehn Büchern seiner Architektur, welche er dem Kaiser Augustus ge- 
widmet hatte. lm ersten Capitel seines Werkes sagt er: nArchitecti est 
scienta pluribus disciplinis et variis eruditionibus ornata, cuius judicio 
probantur omnia quae ab ceteris artibus perficiantur operan- 
Die alten Aegypter haben auch eine deutliche Vorstellung von der 
Bedeutung der socialen Stellung der Architekten gehabt. Das älteste 
Künstlerporträt, welches wir überhaupt in der Kunstgeschichte besitzen, 
ist das Standbild eines ägyptischen Baumeisters. Vitruv hat nur das aus- 
gesprochen. was die ganze Kunstgeschichte bis auf den heutigen Tag 
bestätigt, dass durch den Baustyl und die Baukunst alle Künste ihre Be- 
gründung erhalten. Sie ist, wie ein französischer Schriftsteller sagt, eine 
ebenso universelle als fundamentale Kunst. Bei dieser bevorzugten Stellung 
ist es fast unbegreiflich, dass von Seite des Staates nicht Alles geschieht, 
um die Stellung des Architekten im staatlichen und socialen Leben zu 
sichern. Aber das, was man heutigestags Staat nennt, ist so complicirt 
mit juristischen und bureaukratischen Formen verclausulirt, dass dasjenige, 
was unzweifelhaftes und klares Ergebniss tausendjährigen Kunstlebens ist, 
unsicher und zweifelhaft geworden ist. Und so ist es auch ganz zweifel- 
haft geworden wer berufen und berechtigt ist, sich Architekt zu nennen. 
Wenn etwas unsere heutigen krankhaften socialen Zustände be- 
zeichnet, so ist es eben die krankhafte Physiognomie alles dessen, was 
sich auf Baukunst bezieht. Auf der einen Seite wird über Ueberfüllung 
des Architektenstandes geklagt, welche die natürliche Folge der Ueber- 
zahl von staatlichen Bildungsanstalten ist, an welchen Architekten groß- 
gezogen werden, und auf der anderen Seite werden die Künstler, welche 
in diesen Staatsanstalten gebildet werden, weder vom Staat, noch von 
der Kirche, noch von der Commune verwendet. Und gerade die hervor- 
ragendsten, am meisten künstlerisch veranlagten Architekten werden am 
wenigsten benützt. Nur der minder begabte Kunstjünger, welcher als 
selbständiger Künstler sich nicht geltend machen kann, findet in den 
Staatsbureaux eine kümmerliche Existenz.
	        
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