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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 12)

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herüber, man war eben gründlich im Plündern. Aber die wenigsten 
dieser Reliquien haben sich bis in unsere Tage erhalten und ruhen wohl 
in verschlossenen Schreinen, selten in Kirchen, mehr in Schatzkammern, 
Museen, wo aber vor der Fassung die Reliquie unbeachtet ist. 
Da war nun großer Jubel allenthalben im Westen, während 
ehemals sich der Jubel über die Translation von Reliquien nur vereinzelt 
hatte zeigen können. War die heil. Reliquie im Oriente auf regelrechtem 
Wege erworben, wie eben die vorn Bettelkaiser Balduin II. verpfändete, 
vom König Ludwig IX. ausgelöste heil. Dornenkrone Christi, da wurde 
sie vorn Verkäufer in eine woblverschlossene Truhe gelegt, versiegelt, und 
die oft feierliche Gesandtschaft hatte sie in's Land des Käufers zu trans- 
portiren. Wo sie durch die Städte passirten, gestalteten sich die entgegen- 
ziehenden Processionen zu Triumphzügen; am Bestimmungsorte wurden 
die Diplome nach der Echtheit geprüft, die Siegel der Kiste untersucht, 
ein kleines Protokoll über die Echtheit der Reliquie aufgenommen, und 
am bestimmten Tage dieselbe an den Bestimmungsort übertragen. König 
Ludwig IX. zog barfuß der heil. Dornenkrone entgegen und trug die 
kostbare Fassung mit den heiligen Reliquien, sie über seinem l-Iaupte 
erhebend, hinein in den Dom, von wo sie in die Sainte Chapelle übertragen 
wurden. Seine Arme wurden von Mitgliedern des königlichen Hauses 
gestützt, dass er nicht ermatte. Einen ähnlichen Zug, nur dass Kleriker 
in prachtvollen Gewändern die sämmtlichen Reliquiare auf Tragbahren 
trugen, sah die heil. Stadt Köln am Tage als das Dogma von der un- 
beileckten Empfängniss daselbst präconirt wurde. Man, mochte sich da 
im 19. Jahrh. eine Vorstellung von den Umzügen bilden, deren einen 
Gentile Bellini 1496 gemalt hat, der sich in der Akademie von Venedig be- 
findet. Dem Schutzpatrone schrieb man den Schutz der Stadt gegen Gefahren 
zu, die Reliquiare wurden wohl auch auf die Stadtmauern gebracht, um 
den Muth der Kämpfer gegen die Belagerer zu heben. Die Reliquien 
bildeten auch eine Quelle finanziellen Reichthumes für Stadt und Kloster, 
wenn die Processionen und Wallfahrten zahlreich waren. 
Da sind denn alle Bedingungen vorhanden, welche die Künste 
begünstigen: Reichthum vor Allem und Begeisterung, ja auch der religiöse 
Sinn, und nun als vollends dieser ungeheure Reichthum an Gold und 
Geschmeide ankam, hatten die Kleinkünste vollauf zu thun. Aeltere 
Reliquiare wurden eingeschmolzen, um dem neuen Geschmacke zu ent- 
sprechen, und diese Blüthe setzte sich fort bis die Reformationsstürme 
kamen. 
Wir können nun die Formen der Reliquiare mit einem Blicke über- 
sehen: wir haben eine Reihe sehr einfacher Büchsen aus Holz, Elfen- 
bein, Krystall, Bronze und Edelmetall, hie und da mit Füßen, wie das 
polygone Krystallgefäß bei den Kapuzinern in Wien; Kästchen, Kisten, 
Bilder, Faltbilder, Buchdeckel, Altaria portatilia, Glashaschen, wie die im 
Museum von Murano und in mancher Venetianer Sacristei, ja sogar
	        
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