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Sticken berufen fühlte, und in der Regel es auch war. Nicht minder be-
zeichnend ist der Umstand, dass dieser moderne textile Hauslieiß nur in
den Städten und etwa unter den vornehmen Kreisen der Landbevölkerung
Vertreterinnen findet, während der bäuerlichen Bevölkerung eine kunst-
gewerbliche Behandlung des Leinenzeugs u. s. w. völlig fremd geworden
ist. Dagegen findet man unter den Deutschen Oesterreichs ebenso wie im
Deutschen Reiche eine eigentliche Hausindustrie, und zwar namentlich
dort, wo die kärglichen Bodenverhältnisse auf die subsidiiire Heranziehung
gewerblichen Nebenerwerbes zwingend hinweisen: so im vorarlbergischen
Alpenlande die Stickerei, in den böhmischen Grenzgebirgen namentlich
die Spitzenklöppelei, daneben auch Weberei und Stickerei. Während aber
die Hausindustrie in Deutschland bereits fast überall zur secundären Stufe
aufgestiegen ist, nimmt sie bei uns noch vorwiegend die primäre Stufe
ein: nur in den volkreichen Ortschaften des Rheinthales von Feldkirch
bis zum Bodensee sehen wir unter den durch die St. Galler Exporthäuser
gebotenen Absatzverhältnissen die meisten Sticker ausschließlich diesem
Erwerbszweige hingegeben.
Dagegen tritt uns unter der slavischen Bevölkerung Oesterreichs die
primitive Stufe des textilen Hausheißes noch heute entgegen, und zwar
bei den Ruthenen Ostgaliziens, die ihre selbstgewebte Leinwäsche mit
buntem Garn und Goldliittern besticken und auch bunte Wolltücher und
Binden zu weben verstehen. Aehnliche Verhältnisse existirten noch vor
wenigen Jahrzehnten unter den Czechoslaven Mährens, doch ist dieses
Land in der letzteren Zeit zu sehr von der Großindustrie in Besitz ge-
nommen worden, als dass die dortige Landbevölkerung es heute noch
der Mühe werth fände, ihre von der Landwirthschaft nicht in Beschlag
genommene Zeit dem platonischen Vergnügen an subtilen Textilarbeiten
für den Hausgebrauch zu widmen. Es sei hier sofort auf die auffallende
Erscheinung hingewiesen, dass wohl die Ruthenen und die Czechoslaven
Mährens, nicht aber die Polen und die böhmischen Czechen die Träger
des textilen Hausfleißes geblieben sind. Zur Erklärung genüge vorläufig
der Hinweis darauf, dass von den cisleithanischen Völkern nächst den
Deutschen die böhmischen Czechen und die Polen am meisten Geschichte
gemacht und die meiste Berührung mit dem stilwandelnden Westen unter-
halten haben.
Wenden wir uns nun nach Ungarn. Auch hier fällt sofort die Er-
scheinung auf. dass nicht die führende Nation - die Magyaren - son-
dern andere Stämme von minderer politischer Bedeutung den textilen
Hausfleiß auf den heutigen Tag gebracht haben. Auch hier sind die
slavischen Stämme die Hauptträger dieser Thätigkeit: vor Allen die
Serben im Banat und in Syrmien, die Slovaken in Nordungarn, die dies-
bezüglich mit ihren czechoslavischen Stammesgenossen in Mähren auf's
Engste zusammenhängen, in etwas minderem Grade die Croaten, dagegen
in sehr ausgedehntem Maße das romanisch-slavische Mischvolk der Ru-