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ist, verbindet sie eine reichere Ornamentik und beherrscht neu entstandene
Decorationsweisen, wie z. B. das durchscheinende Weiß auf dunklem
Grunde, päte sur päte. Kleine, überaus zierliche Gegenstände gelingen
ihr wie Colossalvasen mit gleicher Reinheit der Farbe und Vollkommen-
heit der Forrri. Wenn man der Fabrik etwas zum Vorwurf machen kann,
so ist es das, dass alle ihre so zahlreich und vielseitig ausgestellten Ar-
beiten fast ausnahmslos reine Luxusgegenstände sind, d. h. Gegenstände
für die Augen, nicht für den Gebrauch, während die Fabrik im vorigen
Jahrhundert beides mit einander vereinigte und für die Tafel der Fürsten
und der vornehmsten Familien das Speisegerätb zu liefern hatte.
Es mag mit darauf beruhen, dass der Einfluss von Sevres auf die
anderen französischen Porzellanfabriken, den sie doch berufsmäßig als
Staats- und Kunsranstalt üben soll. nur gering erscheint, wenigstens
nirgends auf der Ausstellung sichtbar wird. Die Privatfabriken sind mehr
oder weniger alle auf den praktischen Gebrauch ihrer Gegenstände an-
gewiesen und müssen in der Hauptsache für diesen arbeiten, und dafür
liefert ihnen Sevres keine Vorbilder. Sie gehen daher, insbesondere die
Limusiner Fabriken, an deren Spitze Haviland 81 Comp. steht, ihren
eigenen Weg, der nicht immer glücklich ist. Neben fein verziertem Ge-
räth finden sich auch noch allerlei Absonderlichkeiten, so z. B. ein
Speiseservice, bei welchem alle Formen viereckig sind, andere in einem
wilden Rococo, wie es das Porzellan der Rococozeir, das sich weit maß-
voller hielr, gar nicht gekannt hat, oder das Ornament liegt nach Art der
Japaner beliebig an irgend einer excentrischen Stelle oder umzieht das
Gefäß in schiefer Richtung, aller natürlichen Form zuwider. Ueberhaupt
ist noch viel Gesuchtes, absichtlich Bizarres in diesem Porzellan der
Privatindustrie, das noch sehr der reinigenden Vorbilder bedarf. Einzelne
Fabrikanten können die schlimmen Zeiten der ersten Hälfte dieses Jahr-
hunderts nicht vergessen und arbeiten zu viel rnit Vergoldung und ver-
goldeter Bronzemontirung, welche letztere Sevres glücklich von sich ab-
gerhan hat.
Einen bei Weitem günstigeren und großartigeren Eindruck machen
die französischen Faiencen, welche ganz der Privatindustrie angehören.
Wie hoch hat sich dieser noch so junge Zweig der Kunstindustrie er-
hoben! Einstmals blühend, dann versunken und vergessen, nur dem
gewöhnlichsten Gebrauchsgeschirr dienend, hat er sich heute im Laufe
von zwei bis drei Jahrzehnten zu einer wahren Kunst herangebildet, die
vor den höchsten Aufgaben, gleicherweise der Kunstindustrie, der Malerei
wie der Plastik, nicht zurückschreckt. Alle europäischen Staaten nehmen
gegenwärtig Theil an der Faience-Industrie, meistens aber mit Specialitäten
und insbesondere solcher, welche einstmals im eigenen Lande blühten.
Nur Frankreich, und vielleicht noch neben ihm England, umfasst das ganze
Gebiet vom einfachen, farbig glasirten Topf bis zum figurenreichen Wand-
gemälde. Die Entwickelung geht in dieser Linie aufwärts ohne Unter-