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beiten in Glas, Porzellan und glasirtem Thon. In diesen Zweigen hat
die Reform, welche vom South-Kensington-Museum ausging, wohl am
tiefsten eingegrilTen, und sie sind auch diesmal das lnteressanteste und
Anziehendste in der englischen Abtheilung. Die Faiencen, welche sonst als
sogen. Delft das gewöhnliche Gebrauchsgeschirr für den Speisetisch und
den Theetisch zu liefern hatten, haben sich nach der Richtung des Luxus
und der Decoration zu wahren Kunstgegenständen erweitert und erhöht
bis so weit, dass sie schon beginnen die Wände mit Landschaften und
figürlichen Gemälden zu bedecken, statt der kleinen, meist nur ornamental
verzierten Fliesen, welche wir bisher zu sehen gewohnt waren. Das feine,
aber allzu zarte, sonst nur dem festlichen oder besonderen Gebrauche
dienende englische Porzellan hat den Faiencen einen Theil ihres Gebietes
abgenommen und zeigt in großer Zahl in Formen wie Verzierung außer-
ordentlich schönes Tafel- und Theegeschirr. Aber auffallender Weise, so
sehr hier das Gefühl für Maß und dem Material so angemessene Fein-
heit obwaltet, so zeigt sich andererseits ein Bestreben, das sonst den Fran-
zosen mehr zu eigen war, die Eigenschaften des Materials zu übertreiben
und mit den Formen in's Colossale zu gehen. So hat Doulton in seiner
bekannten decorativen Art eine ganze Anzahl von Riesenvasen ausgestellt,
ein anderer Fabrikant, Goode, hat eine Faience-Jardiniere gebracht in
Gestalt eines sechs Schuh hohen, reich geschmückten Elephanten, ein
dritter, Brownfield, rühmt sich gar, dass seine Porzellanvase, welche mit
einem Globus und den Figuren der vier Jahreszeiten und sonstigen Alle-
gorien die Erde vorstellen-soll, der größte Gegenstand sei, der je in
Porzellan ausgeführt worden. Aehnliche Bestrebungen zeigt auch das
englische Glas. Neben ausgezeichneten Leistungen in seinem ureigenen
Krystallglase, sowohl nach beiden Richtungen im Brillantscbliff wie in
zierlichen Formen mit gravirten Ornamenten, strebt das englische Glas
nach Seltsamkeiten und nimmt venetianische Motive auf, z. B. einge-
streutes Gold und Silber, und verwendet dieses bunte Glas zu ganz
absonderlichen, unschönen, unregelmäßigen und in der Größe über-
triebenen Formen.
ln einem anderen Zweige der englischen Kunstindustrie, im Mo-
biliar, ist wieder übergroße Feinheit an Stelle der alten Schwere und
Derbheit getreten. Der Geschmack in den Möbeln, wie überhaupt in der
Decoration und Ausstattung der Wohnung, hat in England seit dem
Beginn der Reformen verschiedene Wandlungen durchgemacht und ist
jetzt beim Empire angekommen. Der gräcisirende Stil dieser Zeit, wie
ihn Wedgwood in Porzellan eingeführt, herrscht jetzt im kostbarsten
Mobiliar, und zwar nicht blos in Structur, Ornament und Profil, sondern
ganz besonders in einer mit äußerster Feinheit und Vollendung aus-
geführten Marqueterie. Diese Wahrnehmung, welche ich schon vor meh-
reren Jahren in England machte, bestätigt die Pariser Ausstellung mit
dem Wenigen, was dort von englischem Mobiliar zu sehen ist. Gleich-
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