an:
Schnittes, doch ganz einfach unverziert gehalten und daher wohl nicht
als Festgewänder zu betrachten.
Bei solcher Mannigfaltigkeit der Formen wie der Verzierung ist es
natürlich auf fremden Einfluss zu schließen. und in der That, wenn wir
uns unter den Trachten des europäischen Ostens umsehen, so finden wir
genug verwandte Erscheinungen. Die Querborten auf der Brust und die
Schnüre und Zierknöpfe, mit denen der Rock geschlossen wird, finden
wir gerade so bei den Russen, bei den Polen, bei den Türken. Ja, bei
den Letzteren finden wir fast unterscheidungslos die gleichen Costüme
wie bei den ungarischen Herren. Und das ist auch nicht zu verwun-
dern, da ja der größte Theil Ungarns anderthalb Jahrhunderte unter tür-
kischer Herrschaft stand. ln dieser ganzen Zeit stand auch das ungarische
Nationalcostüm unter dem Einfluss der türkischen Tracht. Es ist wesentlich
türkisch und gehört dem osteuropäischen Kleidertypus an, der einen Gegen-
satz zur westeuropäischen oder französischen Mode bildet.
Als nun aber am Ende des 17. Jahrhunderts Ungarn durch die
österreichischen Waffen von den Türken befreit wurde und mit dem
Westen Europa's in Verbindung gerieth, da ist es auch die europäische
Mode, welche statt der türkischen in Ungarn eindringt und die ungarische
Nationaltracht umzuwandeln beginnt. Unsere Ausstellung enthält ein
höchst merkwürdiges Beispiel davon, ein ungarisches Costüm der Rococo-
zeit von Husarenschnitt, mit langen engen Beinkleidern, die unten auf
Stiefel berechnet sind , mit kurzer Jacke, auch mit geschlungenen
Schnüren geziert und mit Schlingen über Knöpfen zu schließen. Soweit
ungarisch. An allen Nähten und Rändern aber vom Kragen bis zu den Stiefeln
herunter ist dieses ganze Costüm von schwarzem Tuch mit der zartesten
und zierlichsten Blütnchenstickerei in farbiger Seide bedeckt, wie nur Frack
und Weste von irgend einem Hofcostüm der gleichen Epoche. Wie wir auch
aus anderen Abbildungen wissen: die ungarische Nationaltracht war unter
Maria Theresia auf dem vollen Wege sich zu europäisiren und zu fran-
zösisiren. Da kam der Gegenkampf gegen Kaiser Joseph, der sich in die
Folgezeit fortpflanzte. Diese immer auf's Neue sich wieder erhebende
Opposition ist es gewesen, welche die Nationaltracht als ein politisches
Palladium für Ungarn gerettet hat, freilich unter Formen, die mehr der
Phantasie als der Tradition angehören.
Aehnlich sind die Schicksale der sogenannten Volkstrachtemwenigstens
insofern, als sie selten ein hohes Alter beanspruchen können, andererseits
aber von mancherlei Veränderungen zu erzählen haben. bei denen ehe-
malige Moden die oberste Rolle spielen.
Die Volkstrachten, d. h. die eigenthümlichen Trachten, welche nicht
ganzen Ländern oder Völkern, sondern nur einzelnen Gegenden, Ort-
schaften, Dörfern oder Städten, auch wohl nur einzelnen Ständen und
Gewerben zukommen, sind durchaus nicht auch nur mit annähernder
Vollständigkeit auf unserer Ausstellung vertreten. Es fehlen Deutsch-