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Bonnie Sherk (mit Howard Levine), Portable Parks II (Tragbare Parks il), Juni 1970
ieugnen, daß der Ausdruck der eigenen Persöniichkeit unver-
meidiich ist. Neusteins Begabung, den Körper zu verbergen -
auch während er seinen eigenen Körper vorführte und
benutzte-wird ieichter begreiflich, wenn man weiß, daß er bis
zum Aiter von sechs Jahren mit seiner Familie, vertriebenen
Juden, durch das Europa der Nachkriegszeit geirrt war:
Als Kind lebte ich mit meinen Eltern in Kellern...dort war es
dunkel, sicher und eng. Licht bedeutete Gefahr, und trotz
dem betrachtete man es als so lebensnotwendig wie
einen Atemzug. Ich erinnere mich..., daß das Licht unter
der Erde anders war, ein pulverisierter Dunst, der eher ver
schleierte als scharf abgrenzte.^“
Der polnisch-jüdische Amerikaner, der vorübergehend in
Israel gelebt und gearbeitet hat, vermittelt und zeichnet mit
seiner Identität und seiner Kunst ein Bewußtsein von Dias
pora, das künstlerische Gestalt annimmt und Ausdruck einer
geistigen und körperlichen Verfassung ist, in der ein Großteil
der Welt heute lebt. «Neusteins Kunst ist deterritorial, politisch
und kollektiv (sie birgt eine aktive Solidarität trotz ihrer Skepsis
gegenüber der Kunstgeschichte).«^®
1976 startete Neustein eine Aktionsreihe - Territorial Impe
rative -, in der er Orte heftiger internationaler Grenzstreitig
keiten demarkierte. Zunächst reiste er auf die Golanhöhen
(israelisch-syrische Grenze, 1976), dann nach Belfast (Nord
irland, 1977), nach Kassel (ehemalige Ost-West-Grenze 1977)
und schließlich nach Krusa (deutsch-dänische Grenze 1978),
stets in Begleitung eines Rüden, den er jeweils auf beiden
Seiten der Grenze urinieren ließ. Neustein photographierte das
Tier beim Markieren und machte daraus eine Reihe von Pos
tern, auf die er die Worte »Territorial Imperative« stempelte.
Anschließend zeichnete Neustein Karten der Grenzgebiete,
auf denen er das durch den Hund markierte Gebiet neben das
von Nationen markierte politische Gebiet stellte. Neustein
stellte das instinktgeleitete Verhalten männlicher Tiere, mit
dem unverwechselbaren Geruch ihrer Körperausscheidungen
ihr Terrain abzustecken, auf eine Ebene mit der Erweiterung
dieses Urtriebs, durch mächtige technologische Mittel
Befehlsgewalt und Kontrolle über ein Gebiet auszuüben
Crossroads^®
Die »Crossroads Community«, besser bekannt als »The
Farm«, war von 1974 bis 1980 ein funktionierender landwirt
schaftlicher und künstlerischer Betrieb in San Francisco. Von
Bonnie Sherk, der Leiterin, gegründet und geführt, war »The
Farm« ein »multikulturelles Kunst- und Lebenszentrum«, das
an der Potrero Avenue 144 lag, direkt neben der Autobahn
abzweigung, die nach San Francisco und zu den südlichsten
Stadtvierteln Potrero Hill, Bemal Heights und The Mission
führt. 1977 beschrieb Sherk ihr Projekt als ein Medium, um
»physische und konzeptuelle Fragmente« miteinander zu ver-
204 Joshua Neustein im Gespräch mit D. Schultz (1992), zitiert in:
Neustein, Tzaig und Grossman im Archiv der Nationalbibliothek,
Wien 1995, S. 28.
205 Jeannette Ingberman, »The Road Not Taken...«, in: Joshua
Neustein, New York 1987, S. 5.
206 Linda Burnham, »Between the Diaspora and the Crinoline:
Bonnie Sherk Interviewed by Linda Burnham«, in: High
Performance, 15, 1981, S. 49-50. Sofern nicht anders angege
ben, stammen sämtliche Zitate aus diesem bemerkenswerten
und inspirierenden Interview.