wieder bedienen konnte. So kam, je mehr die geflügelte Nike (bis in's
7. Jahrh.) selbst von den Münzen verschwand, desto kräftiger die Engel-
gestalt mit den Flügeln zur Geltung, so kamen in die byzantinische
Kunst eine große Menge Personificationen aus antiker Zeit und neu ge-
bildete Formen, die selbst die westliche christliche Kunst nicht alle
benutzt hat; alle die Personificationen der Sonne, des Mondes, der Wind-
götter, Flussgötter, Quellennymphen, der Winde, der Erde, der Einöde,
der Berge, der Städte, die Tyche, die Nike, die Melodie, aber auch die
Reue, das Gebet, Wahrheit, Weisheit, Prophezie, die Barmherzigkeit, die
Demuth u. s. w"). Doch erscheinen sie nicht so von der Natur abgekehrt
als die Cherubim und Seraphim, die ebenfalls nun nebst anderen physio-
logischen Unmöglichkeiten zur_ Darstellung kamen. Der Anstoß dazu
kam von Syrien her, wie es scheint, also jenem Lande, das einen noch
viel zu wenig gewürdigten, weil zu wenig erforschten Einfluss auf die
Kunstbewegung in Byzanz und in der westlichen Kirche geübt hat. Denn
es dürfte wohl richtig sein, dass der syrische Rabulas-Codex zu Florenz
von 586 die älteste Darstellung der Cherubim enthalte. Hiemit war den
anderen Gebilden orientalischer symbolreicherPhantasie, den Seraphim, den
Thiergestalten bei Daniel, der apokalyptischen Fauna das Thor eröffnet.
Von da an erscheinen die vier Evangelistensymbole zu Hunderttausenden
in der christlichen Kunst bis heute, auch die Engelsgestalten mit Flügeln,
die übrigens schon um das Jahr 400 in Ravenna und seit Sixtus lll.
in Rom (4.35 Mosaiken im Triumphbogen in S. Maria maggiore) so
dargestellt wurden. Nun die Flligelgestalten (abgesehen von den nur als
Decoration dienenden antiken Eroten oder Puttis) einmal in die christ-
liche Kunst eingeführt waren, konnten als Weiterbildung, auch histo-
rische menschliche Wesen mit Flügeln gezeichnet werden; so z. B. der
heil. Johannes der Täufer (gemäß Matth., n, ro, der den Malachias
anführt 3, i: Ich sende meinen Engel [Boten] vor mir her); ja in der
westlichen Kirche erscheinen seit dem Ende des stark symbolisirenden
Mittelalters auch der heil. Thomas von Aquino (der wEngelu der Schule)
und der heil. Vincentius Ferrerius 1419) mit Flügeln.
Die byzantinische kirchliche Kunst blieb innerhalb obiger Personifi-
cationen und der apokalyptischen phantastischen Naturgeschichte stehen,
ich rechne dazu natürlicherweise die Gestalten der Ezechiefschen Visionen
und die Seraphim. Aber den Sirenen, Centauren, Chimären, Amphis-
bänen wird man nicht, oder höchstens in vereinzelten Exemplaren")
(angeregt durch die griechische Uebersetzung des Jesaias, Xlll. 21, 22)
') Sieh: den großen Artikel von Ungar in Ersch und Gruberk Encyklophdie nGrie-
Chilüh: Kunsll, l, 460 und öfter, und Le Blanl, Les Sarcophnges de la Gaule, lnlro-
duclion ll. Quast und One, l, S. m4.
") Z. B. auf dem Jüngsten Gerichte zu Salamis in der Kirche der Panagia Phäne-
romeni, wo aber diese Thiere kaum allegurisch zu deuten sind (Mnlerbuch vom Berge
Alhos, übers. von Schäfer S. 270), sondern eine wirkliche Fauna darstellen sollen.