Es ist kein Zweifel, dass Anfangs der Clerus die Bauleute min-
destens überwachte, wenn nicht gar viele Cleriker selber die ausübenden
"Künstlern waren. So mochte eine feste Tradition sich bilden, die
auch noch fortlebte, als schon der Cleriker, zur gothischen Zeit, die
Kunstlibung frei ließ und sich auf den Baukünstler verlassen konnte,
dass er es recht machen werde. So darf man sich denn auch nicht
wundern, wenn feste, sichere Gedanken, ja ganze Gedankenkreise in
diesen nur eben uns, den Nachgeborenen. schwer verständlichen Dar-
stellungen zum Ausdruck kommen. Schon die alte christliche Basilica,
schmucklos im AeuBeren und wenig geschmückt im inneren, war in
ihrem Versammlungsraume der Ort, wo die Segnungen des Christen-
thums der Gemeinde zu Theil wurden, der Ort, wohinein die Dämonen
sich nicht wagten, der Ort, wo nur die i-Reinen- von Gott Erhörung
hoffen durften, d. h. Diejenigen, welche die Sündenlast, die sie drückte,
eben mit Hilfe der Sacramente abgeworfen haben, um zu neuem, geistigem
Leben zu erstehen. Der Raum vor der Kirchenthüre ist der, wo der
Dämon noch Gewalt hat, der ja selbst in's Paradies sich eingeschlichen
und die ersten Menschen verführt hat. In der Kirche ist für den Dämon
kein Platz; sollte ja die mit dem Dämon in Verbindung stehende Natur
im Dome selber zur Darstellung kommen, so konnte es nur in dienender,
gedrückter, besiegter Form sein, etwa als Träger irgend eines Bogen-
ansatzes oder sonst als dienendes, tragendes Glied l"). Aber bis zur Thüre
mochte wohl der Teufel kommen, ja bis in die Vorhalle der Kirche,
welche denn auch das Paradies heißt. Stand ja doch in der ältesten
Basilica hier außen das Becken mit dem reinigenden Wasser, wo die
Sünden abzuwaschen sind in der Taufe. Hier also im Paradiese kommt
der Teufel noch zur Darstellung, mindestens in dem Bilde des Sünden-
falles. Und wo diese Vorhalle nicht ist, cla sind am Portale selber
die Mahnungen deutlich genug, die Sünden hier abzulegen, wenigstens
durch Abkehr der Gedanken vom Bösen und durch eine aufrichtige Reue,
um reinen Herzens vor Gott treten und wieder ein Glied der Gemein-
schaft der Heiligen werden zu können. Zu dieser Mahnung bediente
sich die Kunst eines Bilderkreises, der aus verschiedenen Elementen sich
zusammensetzte, nur dass der Ausgangspunkt der gleiche blieb, nämlich
der Orient; konnten zu den aus der heil. Schrift, besonders der griechi-
schen (und lateinischen) Uebersetzung von Jesaias, XIII, 21, 22") und
m) Dass man wirklich dabei an die Last dachte, welche das in solcher Weise ver-
zierte Bauglied zu tragen hatte, sehen wir aus der Inschrift an einem solchen Steine im
Dome zu Piacenzn. Die trlgende Gestalt, ein Mensch, der das Mitleid erregen will, sagt:
O quam gtave fero pondus, succurre!
") Jesaia XIII, Vers 21. Urtext: Es lagern dort Wüstenthiere F!) und füllen
ihre Häuser; es wohnen dort Marder b), Strauße C) und Satyrn d) tanzen dort.
Vers u. Eulen e) singen in seinen Hnchbauten und Schakale f) in den Palästen
der Lust.