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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1893 / 12)

lichen Leben sind Scenen entlehnt wie der Schulmeister, der gerade damit 
beschäftigt ist, die Prügel dem Buben kunstgerecht zu appliciren, ein 
Gegenstück bietet die Schulmeisterin, Kirche N. D. de S. L0. (Kreuser ll, 
25x.) Auch Weiber im Kampfe oder in anderen Beschäftigungen kommen 
vor. Die Moden, wie sie von den Predigern gegeißelt wurden, die über- 
triebenen Frisuren, fanden satyrische Verwendung selbst in der kirch- 
lichen Kunst. Viele dieser Darstellungen finden sich theils an unter- 
geordneten Baugliedern, an Chorgestühlen "), theils auch an Gerätben. 
So z. B. auf und unter der Stiege zum Predigtstnhl, oder an den Stallen 
der Domherren und Mönche, oder irgendwo am Orgelchore. Manche sind 
wirklich so wenig decent, dass es gut ist, dass das Auge selten bis zu 
diesen Stellen reicht. So z. B. im Chorgestühl des Münsters zu Basel, 
wo die zalirneren Bildchen z. B. Centauren darstellen, deren Vorderleib 
einen Bischof oder zechenden Mönch darstellen, ausgeführt im Laufe des 
r6. Jahrhunderts. Warum aber finden sich solche satyrische und oft 
recht derbe Darstellungen in den Stallen? Auch hier erscheint die Kunst 
als Interpretin der Volksstimme, und der Bildhauer wagte den Mönchen 
und Domherren deutlicher und eindringlicher zu zeigen, was für böses Bei- 
spiel sie dem Volke gaben, als es vielleicht der Decan selber nicht wagte. 
Ganz besonders aber waren es die sogenannten Misericordien, das heißt 
consolartigen Aufsätze auf den Rückseiten der Klappsitze in den Chören 
der Mönche und Domherren, wohin sich die Satyre und Komik zog. Es 
ist gerade, als ob der Bildhauer sich darüber gefreut habe, dass er dem 
geistlichen Herrn hier mit Spott nahen dürfe: hier in den Stallen konnte 
der Bildhauer intim dem Geistlichen seine Fehler und Sünden wie im 
Spiegel zeigen. Und der Geistliche ließ sich das gefallen, waren ja doch 
auch die oben angegebenen Bildchen aus dem Leben an und in den 
Stallen, an Orten, die Jeder sehen konnte, und an verborgenen Stellen. 
Wer weiß, 0b nicht der Decan selber oder der Propst solche Darstel- 
lungen gutgeheißen hatte, wenn nicht mehr? Ganz besonders zeichnen 
sich in dieser Hinsicht die Stallen der Kathedrale von Rouen aus, und 
die durch ihre Monstrositäten bekannten von St. Martin aux-Bois, be- 
schrieben von Abbe Barrand. - In Deutschland sind solche Absonder- 
lichkeiten selten: eine einzige z. B. hat Georg Syrlin (1469-1474) in 
den von ihm gearbeiteten Stallen angebracht. Pressel gibt eine zutreffende 
und in fast poetische Form gekleidete Schilderung der Misericordien- 
Darstellungen zu Ulm: 
nEs war einmal-r, fängt dieser Meister an zu erzählen, nein altes 
böses Weib. Oder wollt ihr lieber hören die Geschichte von dem greu- 
lichen Drachen, der den Schweif eines Greifs und den Kopf eines Hundes 
") Riggenbach, Das Chorgesmhl vom I3. bis 16. Jahrh. Zeitschr. für christliche 
Archaeologi: u. Kunst, II, 161. - Centrnl-Comm. Vlll, 220, 145. - Die Chomühle zu 
St. Stephan in Wien haben ein paar solclf satyrischer Darstellungen (I5. Jnhrhdx.)
	        
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