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uns Theophilus seine Arbeiten mit einer Anschaulichkeit verführt, welche
auch durch Anwendung bildlicher Hilfsmittel nicht besser zu erreichen
gewesen wäre. Mit photographischer Treue fast baut sich vor unserem
geistigen Auge eine Gruppe von Kunsterzeugnissen in seiner Werkstätte
auf, welche bezüglich der technischen Ausführung und der Stileigen-
thümlichkeiten keinen Zweifel übrig lassen.
Wir betreten den langen Gebäudetract, den Theophilus für sich
und seine Gehilfen als Goldschmiedewerkstätte ins Auge fasst. Durch die
in einer Reihe angebrachten, nach unseren Begriffen kleinen Fenster
(ihre Dimensionen, 2 Fuß Breite zu 3 FuB Höhe, entsprechen ungefähr
denjenigen der Fenster in kleineren Bauernhäusern Oesterreichs) scheint
die Mittagsonne, gedämpft durch den keineswegs klaren Fensterverschluss.
Wir würden bei solchen Fenstern nicht im Stande sein zu arbeiten,
denn sie befinden sich fast auf dem Boden. Hier aber ist dies kein
Hinderniss. Der Goldschmied sitzt auf dem Estrich, mit den FüBen in
einer rechteckigen, entsprechend tiefen Grube, über welcher der sauber
geglättete Tisch angebracht ist. KVir sehen an den breiten Fensterpfeilern
die Feuerherde mit ihren bockledernen Blasebälgen, ie einer zu dem
rechts daneben befindlichen Arbeitstische gehörig; an passenden Orten
ferner die mannigfaltigen Werkzeuge, Hämmer, Feilen, Zangen u. s. w.,
von welchen wir so wie über die Art ihrer Erzeugung tretTlich unter-
richtet sind.
Doch wir wollen unsere Aufmerksamkeit nicht diesen Dingen,
sondern vor Allem dem fertigen Geräthe aus Edelmetall schenken.
Wir sehen hier Kelche, aus Silber und Gold von einfacher und auch
reicher Art. Sie geben Zeugniss, wie treu an der hergebrachten Form
seit Jahrhunderten festgehalten wurde. Anordnung und Form der ein-
zelnen Theile, der Cuppa und des Fußes mit dem dazwischenliegenden
Knaufe rufen den ehrwürdigen Thassilokelch des Stiftes Kremsmünster
in Erinnerung. Theophilus' Silberkelch ist einfach geschlagen, glatt und
blank polirt; die einzige schmückende Zuthat besteht aus zwei Astragalen,
ober- und unterhalb des Knaufes angebracht. Der Thassilokelch hat nur
einen dieser gekugelten Reifen, den oberen, zwischen Nodus und Cuppa
und dieses Zwischenglied ist bei beiden Objecten als ein gesonderter
Theil hergestellt. Der untere Astragal ist bei Theophilus' Kelch getrieben
und mit dem Fuße und dem Knauf aus einem Stück hergestellt; beim
Thassilokelch fehlt er gänzlich. Bei letzterem ist der Reif drehbar oder
durch allmälige Lockerung drehbar geworden; auch bei dem Silberkelche
des Theophilus ist er ohne feste Verbindung, nur zwischen Cuppa und
Nodus gelegt. An dem Kelche ist nichts gelöthet. ln höchst ein-
facher Weise sind'die Stücke, aus denen er besteht, durch ein paar
Hammerschläge mit einander verbunden. Zu dem Ende hat die Cuppa
unten einen Zapfen von der Form eines vierseitigen Prismas, bis zur
Hälfte kreuzweise gespalten, die Wölbung des Knaufes aber ein dem
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