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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1870 / 53)

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Die Erwerbungen des k. k. liiinz- und Antikencabinets im Jahre 1869. 
Der stetige Aufschwung, den Oesterreich in Kunst und Wissenschaft durch rege 
Thitigkeit auf allen Gebieten des Geisteslebens nimmt, macht sich auch in den Kunst- 
und Alterthumssammlungsn des kaiserlichen Hofes geltend. Die Erwerbungen von bedeu- 
tenden, das Studium der Kunst- und Culturgeschichte nach verschiedenen Richtungen 
wahrhaft fördernden Werken mehren sich, ausgebreitetere Verbindungen mit den ver- 
wandten Anstalten anderer Länder heben den intellectuellen Verkehr und versprechen 
. vielfache Vortheile und fiir die Zukunft der Sammlungen wird durch entsprechende Ein- 
richtungen gesorgt. 
Diese wachsende Bliithe verdanken diese Sammlungen vor allem der Muniiicenr 
Sr. Majestät des Kaisers und der von Kunstsinn und Verständniss der künstlerischen und 
wissenschaftlichen Interessen durchdrungeneu obersten Leitung des gegenwärtigen Oberst- 
kiimmerers. Schon im Jahre 1868, dem ersten der Amtsführung Sr. Excellenz, machte 
das k. k. Miinz- und Antikencabinet, wie in diesen Blättern berichtet wurde, zahlreiche, 
besonders culturgeschichtliche Acquisit-ionen; das abgelaufene Jahr war ein noch glück- 
licheres und zeichnet sich namentlich durch die Erwerbung einiger Kunstdenkmale von 
hervorragender Bedeutung und einer grossen Anzahl auserlesener Münzen und Me- 
daillen aus. 
Zu ersteren gehört eine antike Büste des Kaisers Augustus aus Elfen- 
bein. Schon die Seltenheit von erhaltenen Arbeiten aus diesem leicht zerstörbaren Ma- 
terials und die aussergewöhnliche Grösse von 6'], Zoll machen dieses Kunstdenkmal merk- 
würdig, noch mehr aber die ausgezeichnete, höchst vollendete Arbeit, während die meisten 
der aus dem Alterthume auf uns gekommenen Elfenbeinsculpturen aus spät römischer Zeit, 
daher von untergeordneten: Kunstwerthe sind; denn die berühmten Werke des griechischen 
Alterthums aus diesem StoEe kennen wir nur aus der Beschreibung, ägyptische und as- 
syrische sind überaus selten. . 
Die Büste zeigt eine grossartige Auffassung; in Haltung und Ausdruck prägt sich 
die Hoheit und stolze Majestät des römischen Imperators aus. Der Adlerblick des Auges, 
der ernste, gebieterisch trotzige Mund, die markigen Ziige, die fiir Augustus charakteristi- 
schen starkknochigen Wangen und das bedeutende, volle Kinn vereinigen sich zu dem 
Eindrucks männlicher Kraft und selbstbewusster Wiirde, den das lebensvolle Bildniss her- 
verbringt. Um den Kopf aus dem gegebenen Stücke Elfenbein möglichst gross bilden zu 
können, wurde mit Aufopferung der streng richtigen Proportion die Büste im Verhiltnisse 
etwas kleiner, der Lorbeerkranz ganz flach gehalten; diese weise Beniitzung des edlen 
Materiales und die echt plastische Behandlungsweise entsprechen ganz dem römischen 
Geiste, im Gegeusatze zu der malerischen, oft nicht steifgemässen Behandlungeart der 
Renaissance. 
Ein zweites Kunstwerk von grosser Bedeutung ist ein Greif aus Bronze, 1 Fuss 
hoch; er wurde am Magdalenenberge bei Klagenfurt auf dem Boden, wo das römische 
Virunum stand, gefunden. Er diirlte zu Fiissen einer Apollo-Statue befindlich gewesen 
sein; zwischen seinen ausgebreiteten Flügeln sieht man noch einen viereckigen Rahmen, 
in welchem die Leyer des Gottes eingefügt gewesen zu sein scheint, ähnlich wie bei einer 
Statue im capitolinischen Museum. Er hebt eine Vorderpranke auf - ein Zeichen ge- 
bändigter Wildheit - und blickt zu seinem Herrn wie den Tönen seiner Leyer lauschend, 
empor. Die lebendige Phantasie, welche den Charakter verschiedener Thiere zu einem 
lebendigen, harmonischen Gebilde zu verschmelzen verstand, ist eben so bewunderuuge- 
 als die ueliliche, fein empfundene Modellimng und die präcise Ausliihrung. Un- 
streitig gehört dieses Bildwerk zu den vorziiglichsten seiner Art, die uns aus dem Alter- 
thume erhalten sind. 
Unter den neu erworbenen Cameen verdient ausser einer feinen Pallas archaisti- 
sehen Styls und dem Fragmente eines Tauroholiums in hohem Relief besonders eine 
Chalcedon-Camee von der schon seltenen Grösse von 3'], Zoll hervorgehoben zu werden; 
sie zeigt den Triumphaufzug Constantins des Grossen. Der Kaiser, von Vic- 
toria bekriinzt, steht in der von der Göttin Roms geführten Quadriga, umgehen von elf, 
zum Theil allegorischen Figuren. Darstellung und Technik gewähren grosses Interesse. 
Von hohem kunstgeschichtlichen Werthe ist eine grössere Sammlung auf Cyperu 
gefundener Alterthiimer, deren Eintreffen bevorsteht, bestehend aus Vasen ganz eigenthüm- 
licher Form und Verzierungsart, archaischen Bildwerken aus Stein und Terracotta nebst 
allerlei Bchmuckgegenständen. Bekanntlich bilden die Funde aus den cyprischen Gräbern 
eine Art Mittelglied zwischen altasiatischer und griechischer Kunst, deren Wechselwirkung 
sie durch gewisse Mischformen veranschaulichen, und sind fir die Geschichte der Eut- 
wicklung mancher Typen, besonders der Venusidole von besonderer Bedeutung. In den 
Figuren und Köpfen aus Stein prägen sich die charakteristischen Merkmale der verschü-
	        
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