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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1872 / 85)

Von den Industrien Wiens, bei welchen der Uebergang zur Kunstindustrie ganz be- 
sonders wahrgenommen werden muss, bildet die gesammte Webwaarenindustrie 
eine der grossten und bedeutsamsten. Vielfach ist dieselbe bereits zur Kunstindustrie ge- 
worden; es soll dies aber in noch vollständigerer Weise geschehen, einerseits weil die 
Frage nach Erzeugnissen der Kunsttveberei auf dem hiesigen Platze eine sehr reichliche 
' ist, andererseits weil bei den hoch gestiegenen Arheitslohnen in Wien fernerhin nurnoch 
die Fabrication von Artikeln mit einem höheren Arbeitswerthe gepflegt werden kann. Für 
den erwähnten Zweck bedarf es aber der Verbreitung eines wohlgebildeten Geschmackes 
und vervollkommnlter Kenntnisse der Theorie und Praxis der Weberei in den mannig- 
fachen hier vertretenen Zweigen so wie der einschlägigen Waaren- und Maschinenkunde 
unter _dem Gewerbe- und Arbeiterstande, wozu wieder ein systematischer Unterricht an 
einer gut organisirten Webereischule das unerlässliche Mittel ist. 
Die in Wien bestehende blfentliche Fachschule für Manufacturzeichnen und Weberei 
ist der bezeichneten Aufgabe durchaus nicht gewachsen, da sie ungeachtet aller Tüchtig- 
keit und Opferwilligkeit der beiden an ihr wirkenden Lehrer bei der Bescheidenheit des 
Maßstabes, in dem sie angelegt ist, und der Mittel, die ihr zu Gebote stehen, nur eine 
sehr begrenzte Thätigkeit entfalten kann. Es ist dazu vielmehr eine höhere Weberei- 
scbule notzhwendig, wie sie verschiedene Stadte des Auslandes besitzen, eine Anstalt, die 
ein oolnpletm, mit Rücksicht auf alle Bedürfnisse sorgfältig errichtetes Lehrsystem hat 
und welcher vorzügliche Lehrkräfte, geeignete Räumlichkeiten, Lehrmittel, Maschinen und 
Materialien in ausreichendem Masse zu Gebote stehen, damit sie eine gute Pßanzschule 
nicht nur für hervorragend leistungsfähige Arbeite, sondern auch für tüchtige Werkmeister 
und für Fachlehrer an Weberschulen sein kenne. Die Section halt sich überzeugt, dass 
die Industriellen der betheiligten Facher gerne bereit sein würdet, zu den Kosten einer 
solchen Schule beizutragen, da sie ia überhaupt zur Erhaltung von Fachschulen gesetzlich 
verpdichtet sind; sie meint deshalb auch, dass das Ministerium ersucht werden sollte, der 
Sache die verdiente Würdigung angedeihen zu lassen und zur Errichtung einer höheren 
Webereischule in Wien durch die Zusicherung einer Subvention für die Einrichtung und 
nächste Entwicklung die wirksame Initiative zu ergreifen. Den Lehrplan für diese Anstalt 
in seinen Einzeinheiten festzustellen wird dann an der Zeit sein, wenn das Ministerium 
seiner Zustimmung zur Errichtung der Schule durch Gewährung von Geldbeitragen Aus- 
druck gegeben haben wird; vorläufig will die Section nur andeuten, dass der Unterricht 
die früher genannten Facher und bei dem wesentlichen Zusammenhange zwischen der 
Weberei und der Wehwaarenappretur auch die Letztere, mit steter Rücksichtnahme auf 
die Neuerungen und Verbesserungen in künstlerischer und in technischer Beziehung, zu 
umfassen hatte. Jedenfalls lassen es sowohl das Ansehen Wiens wie die Bedeutung der 
Webwaarenindustrie, endlich der Umstand, dass die Schule höchst wahrscheinlich aus 
allen Theilen der Monarchie besucht werden wird, als wünschenswerth erscheinen, die- 
selbe zu einer Musteranstalt zu machen. ' 
Bis zu dem Zeitpunkte aber, in dem die höhere Webereischule in Wirksamkeit 
treten wird, wäre alle mögliche Unterstützung den gegenwärtig bestehenden zwei Fach- 
schulen für die Webereibranchen, nämlich der schon erwähnten Manufacturzeichen- und 
Webereischule in Gumpeitdorf und der Fachschule der Posamentirergenossenschaft, ebenso 
der Fachschule der Genossenschaft der Dnicker und Formstecher im Bezirke Sechshaus 
zuzuwenden. Der Ersteren wurde eine Subvention sehr zu Statten kommen, weil sie da- 
durch in die Lage gesetzt würde, auf die Anschaüiing der erforderlichen Werke, Materia- 
lien, Muster, Vorlagen etc, eventuell auch auf eine Vermehrung oder bessere Honorirung 
des behrpersonals und auf eine Erweiterung des Raumes Bedacht zu nehmen. Für die 
Fachschuie der Posamentirergenossenschaft, welcher das Ministerium schon in diesem 
Jahre eine Unterstützung bewilligte, ist eine fernere Subvention um so warmer zu befür- 
worten, alsdiese Schule blos auf die Beiträge der Mitglieder einer minder zahlreichen 
Corporation angewiesen ist und bisher schon recht befriedigende Erfolge geliefert hat. 
Aehnliches gilt von der Fachschule der Genossenschaft der Drucker und Formstecher. 
Von der Genossenschaft der Kleidermacher in Wien, welche bereits zwei Fach- 
schulen gegründet hat und erhalt, wurde der Wunsch geaussert, es mögen ihr in Gemass- 
heit des Landesgesetzes vom 26. Janner 1872 die Kosten für die Erhaltung jener Schulen 
aus den für die Vorbereitungs- und gewerblichen Curse geleisteten Beitragen zurückver- 
gütet werden. Da die Rückvergütung durch ein Gesetz zugesichert ist, so erblickt die 
Section kein Hinderniss, welches dieser Rückerstattung unter den im Gesetze enthaltenen 
Bedingungen entgegenstände, und sie kann somit nur befürworten, dass die Kammer dem 
Ersuchen der Kleidermacher-Genossenschaft willfahre. Ein zweiter Wunsch derselben, 
es möge der mittelst Erlasses des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht zur Lega- 
litlt gewerblicher Fachschulen vorgeschriebene confessionelle Religionsunteiricht gänzlich 
aufgehoben oder wenigstens auf die Vorbereitungs- und die erste Classe der von der Ge- 
nosaenschaft erhaltenen Fachschulen beschrankt werden, lasst sich ebenfalls nur als be- 
rüdsichtiguttgawerth ansehen; denn erstens wideisrreitet es entschieden dem Wesen und
	        
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