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Volltext: Alte und Moderne Kunst I (1956 / Heft 3)

KUNST 
UND 
HOBBY 
ALTE UND 
MODERNE 
KUNST 
IM 
SPIEGEL 
DER 
BRIEFMARKE 
V0 
PAUL WERBER 
Man kann das oft gehörte Wort „Kunst ist 
zeitlos" zwar begrifflich verstehen, aber durch- 
aus nicht widerspruchslos hinnehmen. Denn ge- 
nau so, wie zwischen der Musik Wolfgang 
Amadeus Mozarts und Igor Strawinskys ge- 
waltige Unterschiede bestehen, existieren solche 
auch in der darstellenden Kunst und Graphik 
und beweisen, daß Kunst eben identisch mit 
Leben ist und solcherart Zeitströmungen und 
Geschmacksrichtungen unterworfen wird. 
Ein Vergleich „alter" mit „moderncr" Kunst 
- der hin und wieder Gelegenheit zu endlosen, 
erbitterten Diskussionen gibt - ist eigentlich 
ebenso zwecklos, wie ohne tieferen Sinn. Denn 
niemals werden sich die Anhänger der einen 
oder der anderen Richtung von spitzfindigen 
Argumenten überzeugen lassen und mit flie- 
genden Fahnen ins gegnerische Lager übergehen. 
Erst vor ein paar Wochen haben wir in Öster- 
reich einen solchen Zusammenprall der Mei- 
nungen wegen der künstlerischen Ausgestaltung 
eines Bahnhofs in aller Schärfe erlebt und uns 
dabei erinnert, daß vor einigen Jahrzehnten 
um das „Goldmann i? Salatsch-Haus" am 
Michaelerplatz, Ecke Kohlmarkt (Wien), ähn- 
liche Diskussionen geführt wurden, die uns 
heutzutage geradezu komisch anmuten, denn 
die ihrer Epoche weit v-orauseilende Schöpfung 
des Architekten Adolf Loos wurde richtung- 
gebend für die ganze Welt und wer empfände 
heute etwa, daß die stukkaturl-ose Fassade die- 
ses Hauses den Michaelerplatz verunziere? 
Wenn Adolf Loos in seinem Buch „Ins Leere 
gesprochen", das in den Jahren 1897-1900 
geschrieben wurde und erst 1920 im Verlag 
von Georges Cres u. Co., Paris, veröffentlicht 
werden konnte, weil kein deutscher Verlag die 
Veröffentlichung wagte, im Vorwort betont: 
"Hat nur ein einziges gesrblecbt sich der 
neuen scbreibwcise bequeml, so wird im 
nachfolgenden kein bahn nach der alten: 
kräben. Lassen wir doch an den lzäusvrn die 
gicbel, die vorxprünge der bnlksn, aus den 
lnmren das puder weg. warum w]! in der 
scbrift aller unrut bleiben?" 
so trifft er damit den Nagel auf den Kopf. Der 
immer noch herumgeistcrndc Kampf um eine 
neue deutsche Orthographie, der mit nicht 
immer logischen Argumenten, aber beispielloser 
Erbitterung geführt wird, zeigt uns Ähnlich- 
keiten einer Kampfweise, die zwischen den Ver- 
fechtern „alter" und „moderner" Kunst ent- 
brannt ist und allen Ernstes verlangt, künst- 
lerische Werturteile zwischen Picassos "Frie- 
denstaube" und, sagen wir. der „Sixtinischen 
Madonna" Raffael Santis, ex aequo, zu er- 
lassen. 
Dazu kann man nur sagen, daß es notwendig 
ist, eine Art „Koexistenz" zwischen alter und 
moderner Kunst zu propagieren, weil die Un- 
möglichkeit offenbar wird, Vergleiche zwischen 
derartig heterogenen Kunstwerken zu ziehen. 
Wieder ist es die kleine Briefmarke, der Gegen- 
stand eines wirklich international verbreiteten 
Hobbys, die uns die Möglichkeit gibt, alte und 
moderne Kunstauffassungen leidenschaftslos zu 
betrachten und rein geschmackliche Vergleiche 
zu ziehen, ohne in den Fehler zu verfallen, mit 
Kanonen auf Spatzen zu schießen und gleich 
künstlerische Wertungen vorzunehmen. Unsere 
erste Bildreihe zeigt von links nach rechts den 
Kopf eines Bischofs, nach dem 800 Jahre alten 
Bild aus dem Mittelalter der Domkirche zu 
Nidatos (Norwegen), daneben ,.La Gioconda", 
die weltberühmte „Mona Lisa" Leonardo da 
Vincis. Die nicht minder weltberühmte „Sixti- 
nische Madonna" Raffael Santis und ein „Kna- 
benbildnis" von Bernardino Pinturicchio wer- 
den abgeschlossen von Albrecht Dürers „Maria 
mit dem Kinde" und dem "Bildnis eines jungen 
Mannes" desselben Künstlers. Es handelt sich 
hier um Postwertzeichen, die uns mit mehr oder 
weniger graphischem Können, Reproduktionen 
weithin bekannter Meisterwerke vermitteln und 
durch ihre Millionenauflagen geschmackbildend 
wirken müssen. 
Unsere zweite Bildreihe hingegen, vermittelt uns 
modemc Gebrauchsgraphik in Briefmarken- 
größe, die durch ihre Symbolik auf uns wirken 
soll. Diese Symbolik des modernen Künstlers 
vermeidet bewußt die althergebrachten Wege 
und chokiert anfangs durch ihre XVucht, bis 
man sich schließlich auch an diese Gestaltungs- 
art gewöhnt und nicht nur das „verkleinerte 
Plakat", sondern auch die ehrlich angestrebte 
künstlerische Wirkung in diesen modernen Max- 
ken erkennen kann. Freilich geht es dabei auch 
nicht ohne Meinungsverschiedenheiten über 
künstlerischen Wert oder Unwert dieser Post- 
wertzeichen ab, die in der Tagespresse und den 
philatelistischen Fachblättern der betreffenden 
Länder publiziert werden. Nicht widerspruchs- 
los wurden die beiden. graphisch hervorragend 
geglückten, schweizerischen Marken zum 50jäh- 
rigen Jubiläum des simplen-Tunnels und zur 
Luzerner Ausstellung von 195-! hingenommen, 
während die drei folgenden Postwertzeicheni 
der Deutschen Bundesrepublik, zur „Europäie 
schen Fahrplankonferenz 1955", die ..Heimat- 
Vertriebenen-Sondermarke" und die „Gedenk- 
marke zur IOOOeJahi-feier der Schlacht auf dem 
Lechfcld" ob ihrer Symbolik heftig kritisiert 
wurden. 
Sollte sich jedoch unser Kunstgeschmack in 
den nächsten Dezcnnien auch bei bildlichen 
Darstellungen soweit ändern, wie er sich in den 
vergangenen fünfzig Jahren bei der Architektur 
geändert hat, so wird man dann lächelnd die 
„unbegreiflichen Widerstände" registrieren, die 
sich bei Arbeiten hervorragender Künstler in 
den Fünfziger-Jahren des zwanzigsten Jahr- 
hunderts ereignet haben. „Temporal mutanrur, 
nos et mutzimur in illis", der alte lateinische 
Spruch „Die Zeiten ändern sich und wir ändern 
uns in ihnen" gilt für das ganze Leben, wie 
für die Kunst. Deshalb verdammen wir nicht 
voreilig jeden „Neucrer", weil wir nicht wissen 
können, wie unsere Nachkommen dereinst dar- 
über urteilen werden. Auch der begeistertste 
Sammler vun Biedermeier-Freundschaftsbechern 
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