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Volltext: Alte und Moderne Kunst I (1956 / Heft 4)

die alles unternahmen, um Anton Grassi beruflich unterzubrin- 
gen. Beide hatten gute Beziehungen zur Wiener Porzellanmanu- 
faktur. Wilhelm Beyer hatte schon im Jahre 1768 Vorschläge zur 
Hebung der kaiserlichen Porzellanfabrik gemacht, ein Gebiet, 
auf dem er als ehemaliger Modellmeister der Ludwigsburger Ma- 
nufaktur eine reiche Erfahrung aufweisen konnte. Hagenauer 
wieder hatte Beziehungen zu dem Fürsten Dietrichstein, dem der 
junge Grassi kein Unbekannter war. Und so wurde Anton Grassi 
im Jahre 1778 als Adjunkt dem nicht mehr jungen und aus der 
Schule des Raphael Donner stammenden Modellmeister Johann 
Josef Niedermeyer beigegeben. Fünf Jahre später, 1783, schlug 
dieser Anton Grassi als seinen Nachfolger vor und begründete 
dies mit den Worten: „Er hat Geschmack und Kenntnisse und ist 
in dem ganzen Personale der Einzige, von dem die Fabrik alle 
die zu diesem Dienste erforderlichen Eigenschaften erwarten 
darf." Nach dem Tode Nicdermcyers im Jahre 1784 erhielt Grassi 
die Stelle des Modellmeisters. 
Im gleichen Jahr übernahm Konrad Freiherr Sörgel von Sorgen- 
thal die Direktion der Wiener Manufaktur. Damit hatte man 
einen Mann an die Spitze des Unternehmens gestellt, der sich 
schon anderweitig hervorragend als Organisator und Kaufmann 
bewährt hatte. Unter seiner Oberleitung erlebte die Wiener Ma- 
nufaktur ihre künstlerische und wirtschaftliche Blütezeit. In An- 
ton Grassi hatte er den Modellrneister gefunden, der ihn bei sei- 
nem Aufbauwerk aufs nachdrücklichste unterstützte. Schon nach 
sechsjähriger Tätigkeit als Modellmeister wurde im Jahre 1790 
„der rühmlich bekannte Künstler Anton Grassi, Modellmeister 
bei der k.k.P0rzellanfabrik, nach den von ihm eingereichten 
Aufnahmestücken, den ordentlichen Mitgliedern der Akademie 
einverleibet". 
Nun sollte sich auch Grassis sehnlichster Jugendwunsch erfüllen. 
Im Auftrag der Manufaktur begab er sich auf eine Italienreise, 
die er schon 20 Jahre vorher mit Hilfe des Kaiserporträts von 
der Kaiserin Maria Theresia erbeten hatte. Damals aber waren 
die Pensionäre bereits ausgewählt und Grassi mußte „seinem 
glühcndsten Wunsche entsagen". Nun war es soweit. Wie seine 
Skizzenbücher verraten, hat er viel und alles Antikische ge- 
zeichnet und kopiert. Diese Reise, die nach neun Monaten wegen 
der Unruhen in Italien vorzeitig abgebrochen werden mußte, war 
entscheidend für seine weitere Entwicklung. Zurückgekehrt, 
übernahm er im Jahre 1794 auch die Leitung der höheren Kunst- 
klasscn und die Korrcktion in der Historien- und Landschafts- 
malerei. Damit war er zur einflußreichsten und bestimmenden 
Persönlichkeit auf künstlerischem Gebiete in der Manufaktur auf- 
gerückt und es ist gewiß, daß kein Stück geformt und kein Dekor 
gemalt wurde, ohne nicht seine Billigung gefunden zu haben. 
1805, im Jahre der Besetzung Wiens durch die Franzosen, starb 
Sorgenthal. Anton Grassi überlebte ihn um zwei Jahre. Am 6. Ja- 
nuar 1808 brachte die „Wiener Zeitung" in der Rubrik der am 
31. Dezember Verstorbenen die Notiz: „Herr Anton Grassi, Mo- 
dellmeister in der k. k. Porcellainfabrik. Mitglied der k. k. Aka- 
demie der bildenden Künste, alt 52 Jahre, in der Rossau 
Nr. 137." i 
Ein gütiges Geschick hat Anton Grassi seinen Jugendwunsch 
erst im Jahre 1792 erfüllt. Denn nur zu deutlich zeigen seine pla- 
stischen Schöpfungen nach der Rückkehr aus Italien den Einfluß, 
den das Studium der Antiken und das Kopieren der antiken Ori- 
ginale auf ihn gemacht haben. Und so läßt sich sein Werk deut- 
lich in zwei Perioden einteilen, wovon die eine vom Jahre des 
Eintrittes bis zur Italienreise (1778-1792) reicht und die andere 
die Jahre bis zu seinem Tode (1807) umfaßt. Die erste Periode 
zeigt ihn als den seelenvollen und gemüthaften Vereiniger der 
von seinen Lehrern Messerschmidt und Beyer übernommenen 
Stilmerkmale. Das Porträt des Kaisers JosefII. steht ganz in der 
Nachfolge Messerschmidts; seine Ausführung in Porzellan ist 
wohl um 1778 anzusetzen. Unmittelbar darauf muß die Folge der 
Jahreszeitenfiguren entstanden sein (Abb. 2, 3). Hier kommen 
alle jene für Beyer bezeichnenden Merkmale eines späten Roko- 
kos und frühen Klassizismus, gespiegelt durch ein wienerisches 
Temperament, zum Ausdruck. Der allegorisierenden Tendenz 
des 18. Jahrhunderts folgend, hat Grassi für die Gestalt des Win- 
ters eine Schlittschuhläuferin gewählt. Um 1780 war der Schlitt- 
schuhlauf gerade in Mode gekommen. Die Tanzsehrittstellung 
läßt die ganze Gestalt elegant, anmutig und bewegt erscheinen. 
Empfindsam ist der Kopf zur Seite geneigt, kokett das Hütchen 
aufgesetzt, in allem die heiterste und anmutigste Erscheinungs- 
form der kalten Jahreszeit. Die Figur trägt auf der Unterseite 
die Signatur des Corporals Schneider, eines Veteranen, der als 
Bossierer in der Manufaktur arbeitete und der sie wohl auch 
übcrformt und die einzelnen Teile zusammengesetzt hat. Der 
Maler Christoph Dreischarf hat sie mit zarten und duftigen Farb- 
tönen bemalt: Lachsrot und Apfelgrün, Purpur und Silbergrau, 
Eisenrot und Gold. Das gleiche läßt sich auch von dcm Sommer 
sagen, einem anmutigen Jüngling, der ein Vogelnest in den 
Händen hält und sich auf ein Ährenbündel stützt. 
Auch die beiden Figuren einer Dame und eines Kavaliers (Abb. 4) 
sind nur als Modelle aus der Hand des Modellmeisters Grassi 
denkbar. Kaum vorher ist das Sitzmotiv mit solcher Eleganz und 
Sicherheit gemeistert worden. Die gelöste Freiheit der sprechen- 
den Gcbärden und die Harmonie der Proportionen bezeugen die 
lland eines Meisters. Es gibt keine andere Darstellung in der 
Porzcllanplastik des 18. Jahrhunderts, die das Wesen der Dame 
und des Kavaliers in so gültiger, aber auch anmutiger Weise aus- 
zusagcn vermag. 
Einen Höhepunkt der kleinfigürlich-plastischen Formgestaltung 
stellt die als „Verlobung" bezeichnete Gruppe dar (Titelseite). 
Anton Grassi hat sie rundplastisch komponiert. Den drei Figuren 
der Hauptansicht entsprechen auf der Rückseite spielende 
Kinder, die eine ebenso in sich geschlossene Gruppe ergebem 
Trefflich sind die verschiedenen Altersunterschiede und Gefühls- 
zustände der Hauptfigurcn charakterisiert. Die alte Dame mit der 
Witwenhaube ist bestrebt, die schüchtern und errötend zu Boden 
blickende Tochter durch einen sanften Anstoß aufzumuntern, 
den dargereichten Ring des Brautwcrbers doch zu ergreifen. Dic- 
scr, im eleganten pas de dance, legt beteuernd die rechte Hand 
auf das Herz und überreicht mit der linken den Ring. Überragt 
ist diese Szene von einer Flammenvase, die symbolisch "tuf das 
Ereignis anspielt. Schon immer wird diese Gruppe mit der Ver- 
lobung von Maria Christine, der Tochter Maria Theresias, mit 
dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen in Beziehung gebracht. 
Wenn auch dieses Ereignis wesentlich früher stattgefunden hat, 
so zeigt die Überlieferung, welche Wertschätzung diese Gruppe 
schon immer genoß. Ganz im Sinne der Werther-Zeit ist ein 
besonderer Anlaß, ein allgemein menschliches Ereignis gefühl- 
voll und bürgerlich nahe von Anton Grassi gestaltet worden. 
Sicher schon in die Jahre um 1785 fällt die Gruppe der drei 
Bacchatntinnen mit dem Knaben Amor auf den Schultern (Abb. 5). 
Das Modell ist keine originale Erfindung. Schon der ältere 
Prachard hatte es nach Boucher in Sevres modelliert. In Wien 
existiert es in verschiedenen Ausformungen, glasiert, bemalt und 
in Biskuit. Nicht nur das Thema allein, auch die Gestalten zeigen 
entschieden antikischen Einfluß. Und die Ausformung in der 
kalten und strengen Biskuitmasse weist nur zu deutlich auf die 
nun beginnende Vorliebe für die antiken Plastiken hin. Das Por- 
zellan wird seines stärksten Wirkungsmittels beraubt, um dem 
Marmor antiker Plastiken zu gleichen. Damit bricht jene Zeit 
an, in der wir Anton Grassi immer mehr als den Nachahmer anti- 
kischer Motive finden. In der Strenge und Kühle dieser Gestal- 
tungen kann nun nicht mehr jenes wienerische Element der 
Frühzeit, das ein vorwiegend musikalisches ist, leben. Anton 
Grassi, der die Musik so verehrte, der selbst die Violine meister- 
haft spielte und dessen angenehmste Beschäftigung und Erholung 
in den geschäftsfreien Stunden die Musik war, hat sein Bestes in 
jener sanften und sentimcntalischcn Übergangszeit gegeben, der 
die harten Fanfarenstöße der französischen Revolution ein jähes 
Ende setzten. 
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