lich, wurde als Ballast, als unecht abgelehnt. Gelten durfte nur
das Klare, das vernünftig Nüchtcrne. I)arum ist das architek-
tonische Vokabular von höchster Sparsamkeit. Die Gliederung
der Wand begnügt sich bis auf die Fcnsterbekrönungcn im Erd-
geschoß und bis auf die Giebelzone mit flächigen und linearen
Motiven. - Daß unter diesen Voraussetzungen auch die barocke
Tendenz zur Repräsentation und herrschaftlichen Lebensent-
faltung nicht mehr berücksichtigt werden konnte, versteht sich
von selbst. Der Ehrcnhof, der unvermeidliche Rahmen prächtiger
Auffahrten, die weite und schöne architektonische Geste des
gastlichen Willkomms, wurde abgeschafft. An seine Stelle trat
eine lockere, „ungczwungene" Gruppierung. Es ist sympto-
matisch, daß sich der Eingang und das Stiegenhaus nicht an der
Front befinden, sondern an der Schmalseite. Die Mitte des
Schlosses ist der Intimität eines Gartensalons vorbehalten.
Nur an einer Stelle wirkte etwas von der barocken Über-
lieferung nach: Am Giebel. Hier wurde noch jenes Prinzip be-i
achtet, das Fürst Karl Eusebius Liechtenstein (1611-1684) im
Vorwort zu seinem Werk von der Architektur anführte, wobei
er sich auf das Vorbild der Antike, deren Bauten er „intcr
rniracula mundi" zählt, und das Beispiel des römischen Barock
beruft: „Dan discs ist die eintzige und hechste Ursach der vor-
nehmen und statlichcn Gcbeu: der unsterbliche Nahmcn und
Ruhm und ebige Gcdechtnus, so von dem Structore (Erbauer)
hinterlassen wiert . . .", worauf er fortfahrt, die Bauten seien „das
sichtbare lebendige Zeichen . . ., dan sie den Nahmcn und Wapen
des Structors fiehren und tragen, und verkindigen allen, daß vor
so villen hundert jahren ein dergleichen Vornehmer und Mech-
tiger in disen Geschlecht gewesen."
Die gleichen Intentionen kommen auch noch am Giebel von
Karlslust zu Wort. Hier wurde der Nobilität, der erfolgreichen
Laufbahn des Bauherrn ein Denkmal gesetzt, d. h. er errichtete
es sich selbst. Wer die heraldischen Insignien, die dargestellten
Orden und Trophäen richtig zu lesen versteht, der erhält auf
diese Weise bereits Aufschlüsse über die Persönlichkeit des Er-
bauers. Fürst Karl Auersperg (1750-1822) hatte sein Leben
dem Kricgshandwerk gewidmet und war bereits zu Rang und
Auszeichnungen gelangt, als er Karlslust erbauen ließ. Das deu-
ten die reichcn Trophäengruppen an, die seitlich des Wappens
angeordnet sind. Sie bestehen aus den seit der Spätrenaissance
und dem Barock üblichen Requisiten. Unmittelbar unter dem
Wappenschild, über dem Goldenen Vließ ist das Ritterkrcuz des
Maria-Thcresien-Ordcns angebracht, der höchsten militärischen
Auszeichnung der kaiserlichen Armee. Der Fürst hatte sie gleich-
zeitig mit der Ernennung zum General verliehen bekommen,
als er im letzten der großen Türkcnkricgc des 18. 1h. die auf
einer Donauinsel gelegene feindliche Festung Neu-Orsowa am
17. April 1790 zur Übergabe gezwungen hatte. Im ersten Koali-
tionskrieg (1792-1797) gegen die Heere der französischen Re-
volution machte er den Feldzug in Holland und die Schlacht bei
Neerwinden (1793) mit, wurde jedoch gefangen und kehrte erst
nach zwei jahren wieder zurück. Wenige Zeit später dürfte mit
den Bauarbciten für Karlslust begonnen worden sein. Dieses ist
also nicht nur jagdschloß, sondern auch das „huen retiro" eines
Mannes, der sich hier vom Waffenlärm zurückziehen wollte.
Es umfiingt einen denn auch eine Stimmung, die, wenn man das
Innere des Schlosses betritt, nichts mit Repräsentation und Auf-
wand zu tun haben will. Wieder drängt sich in diesem Zusam-
menhang der Vergleich mit den barocken Schlössern verdien-
ter Männer aus Staat und Armee auf. Dort fehlte fast nie der
Festsaal mit einem monumentalen Fresko, wo Olympier, Götter
und Heroen, aufgeboten waren, um dem Schloßherrn, seinem
Rang und Stand, die allegorische Erhöhung und Weihe zu ver-
leihen. Niemals, auch nicht in der ländlichen Atmosphäre wollte
der barocke Mensch auf diese heroisiercnde Selbstdarstellung
verzichten.
In den lichten Räumen von Karlslust herrscht eine arkadische
Stimmung. Man glaubte damals, es so weit gebracht zu haben,
die Antike im Gegensatz zum Barock rein und ungebrochen
durch das Medium des Zcitgcistes zu erfassen. Außer Weiß, der
Farbe des Marmors antiker Statuen, wurden nur zarte Töne für
die Ausmalung der Wände bevorzugt. Es sind durchwegs
Pastellfarben: Helles Grün, Blau und Rot. Auf diesen Grund sind
die antikisicrenden weißen Ornamente der Stukkaturen, Supra-
porten und Dessus-mirroirs gelegt. Manchmal sind die Wand-
felder von breiten Streifen mit Grotesken eingcfaßt, manchmal
ist in der Mitte der Wand ein Landschaftsbild in pompejanischcr
Nachempfindung al frcsco gemalt. In einigen Zimmern sind die
Wände mit Tapeten bespannt, die zum Anmutigsten gehören,
das man auf diesem Gebiet in Wien und seiner Umgebung fin-
den kann. Die hier abgebildete Tapete ist eine in verschiedenen
Brauntönen gehaltene Komposition.
Ein Licblingsthema der Gartcnarchitektur und Plastik jener Zeit
war das Denkmal. Sehr oft nahm man sich diese Formen für
die Gestaltung der Ofen zum Vorbild, wie es das hier gebrachte
Beispiel zeigt. Dazu muß man wissen, daß es sich bei diesem
Raum um das Zimmer des Bauherrn handelte, woraus sich die
kriegerischen Embleme erklären.
Neben der Bewunderung für die Antike und neben der Natur-
verbundenheit waren Schlichtheit und Zweckmäßigkeit weitere
wichtige Forderungen der Zeit. Das erweist sich an den Möbeln.
Aber ihre Einfachheit läßt sich nicht nur darauf zurückführen,
daß es sich in Karlslust um ein jagdschloß handelt, sondern ist
primär dem Zeitgeschmack zuzuschreiben. Sie sind teils in Eiche
teils in Kirschholz ausgeführt. Ihre verschiedenen Formen folgen
vielfach englischen und deutschen zeitgenössischen Vorbildern.
Um sich ein Bild davon zu machen, was Inncndekorateure und
Entwerfer damals bezwecktcn, mögen einige Zitate aus dem
„Magazin für _Frcundc dcs guten Geschmacks" folgen, einer
Zeitschrift, die in Leipzig in den jahrcn 1796-1800 erschien.
Es wird an jeden appelliert „der für das Zweckmäßige, Schöne
und Edle in den Formen und Farben Sinn hat", denn es geht um
die „Veredelung und Vereinfachung des Geschmacks, größere
Ausbreitung desselben und höhere Zweckmäßigkeit und Nütz-
liehkeit in den Formen . . . Der veredelte Geschmack bedient sich
zu eben dieser Absicht rcincrcr, von der Antike abgezogener
Formen... Alle Produkte des Kunstfleißes, welche durch einen
gereinigten Geschmack eine gefalligere Form annehmen und sich
in angenehmere Farben kleiden können", gehören zu dem Auf-
gabenbereich des Innendekoratcurs.
Könnten diese Forderungen nach „Reinheit und Zweckmäßig-
keit" nicht beinahe wörtlich von einem Architekten oder Künst-
ler unserer Tage aufgestellt sein? Tatsächlich ist die Situation
verwandt. Der Schreiber des jahres 1796 wandte sich gegen die
Formen des Barock, die er als unedel verurteilte. Der Innen-
architekt der ersten Hälfte des 20. jh. wandte sich gegen den ncu
aufgelcbten Barock, den Historismus und das Stilchaos des 19. jh.,
die cr als unecht ablchnte. Die heutigen Bestrebungen haben
nachgcwiesenermaßen im ausgehenden 18. jh. ihre Wurzeln.
Es ist jedoch höchst aufschlußreich zu schcn, daß trotz all dem
bereits damals die ersten Anzeichen des späteren Historismus
auftreten. Was später mit historischer Treuc und wissenschaft-
licher Genauigkeit „nach' ahmen" versucht wird, das wurde um
1790 auf der Ebene de thetischen „Einfühlung" und des Ge-
schmacks „nachempfundcn". So ist in jenem Magazin immer
wieder von „antikem Geschmack", „altdcutschem oder gothi-
schcm Geschmack" und „gemischtem Geschmack" die Rede. Alle
diese Stil- und „Geschmacks"-Variationen kommen auf den
Karlsluster Möbeln zur Geltung.
Den heutigen Besitzern von Schloß Karlslust möchte ich auch
an dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank sagen. Durch ihr
freundliches Entgegenkommen und ihre Bercitwilligkeit, mir Zu-
tritt zu ihrem schönen Heim und Einblick in das einschlägige
Quellenmaterial zu gewähren, haben sie das Zustandekommen
dieser kleinen Studie ermöglicht.