Der beschränkte Raum gebot nun leider, in dieser ersten Aus-
stellung, nur die eine Hälfte des Bestandes, die Kunstwerke der
letzten 80 Jahre, also die Werke vom Impressionismus bis zur
Gegenwart, zu zeigen. Die vorausgehende Entwicklung von den
Ausläufern des Klassizismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts und
den Romantikern bis zum Realismus soll einer zweiten Aus-
stellung zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben, die
der ersten weder an Rang noch an Umfang nachstehen wird.
Den Inhalt der gezeigten Ausstellung möchte ich nur kurz
skizzieren: Die französischen Impressionisten bilden den Eingang.
In erfreulicher Weise sind die Hauptwerke dieses Kreises -
Manet, Monet, Degas, Rencir, Gonzales - mit schönen, teils
ausgezeichneten Werken vertreten. Der Plastiker Rodin tritt mit
drei charakteristischen Bronzen hinzu. Auch Degas und Renoir
weisen sich als Plastiker aus. Eine zweite Abteilung zeigt in her-
vorragenden Beispielen - Cezanne, Van Gogh, Munch, Ensor
usw. -- einige Spielarten der naehimpressionistischen Entwick-
lung und des europäischen Expressionismus, dem auch Sonder-
erscheinungen wie Hodler, Segantini oder der Plastiker Minne
zuzuzählen sind. Der deutsche Impressionismus ist mit einer sehr
bedeutenden Reihe von Werken Liebermanns, Slevogts, Uhdes,
Zügels und Corinths dargestellt. Die ausgezeichnete Kollektion
von Werken Corinths läßt eine der Entwicklungslinien der deut-
schen Malerei in den zwei ersten Jahrzehnten unseres Jahrhun-
derts von einem späteren Impressionismus zu expressiver Aus-
drucksweise an einem persönlichen Beispiel mit besonderer
Klarheit ablesen. Plastiker von der Art eines Kolbe, eines Sin-
tenis, eines Marcks usw. fügen sich der Entwicklungslinie ein.
Sinngemäß schließen sich an die Spätwerke Corinths die gleich-
zeitigen, zum Teil noch vorausgehenden Arbeiten der„Brücke"-
Maler: Nolde, Hecke], Pechstein, Kirchner. Von den kaum
übersehbaren anderen Richtungen der europäischen Kunst der
ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts konnte im letzten Raum
nur sehr Weniges mit den eben vorhandenen Einzelbeispielen
angedeutet werden: neben den Malern Leger, Beckmann,
Hofer, De Pisis und Fries stehen die Plastiker Archipenko
und Despiau.
Der Beschauer wird in dieser Ausstellung also eine ganze Reihe
sehr beachtlicher, ja bedeutender Kunstwerke finden. Manche
Richtungen, einzelne Künstler sind sogar mit einem gewissen
Reichtum vertreten. Anderseits werden sich aber jedem Kundi-
gen auch sofort die klaffenden Lücken aufdrängen, die sich
für manche Richtungen kaum mehr aufholen lassen, die aber
um so krasser und untragbarer werden, je weiter sich die Ent-
wicklung unserer Gegenwart nähert. So wird der Besucher un-
serer Ausstellung, um nur einiges flüchtig anzudeuten, etwa die
Kunst des französischen Nachimpressionismus (außer Cezanne),
die Malerei der Fauves, der Nabis vermissen. So kann unsere
Ausstellung -- außer einem Frühwerk von Leger - kein ein-
ziges Werk des für die Kunst der Gegenwart so wichtigen Ku-
bismus zeigen. So wird man vergeblich nach einem wesentlichen
Werk des „Blauen Reiters" oder der Bauhauskunst suchen. So
fehlen in der Ausstellung auch die italienischen Futuristen, die
Pittura metafisica, der Surrealismus, überhaupt jede Andeutung
der gegenstandslosen Kunst.
Es wird, wie gesagt, nicht möglich sein, alle diese Lücken zu
schließen, alle Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen.
Wichtiger erscheint es, nicht auch für die Gegenwart und Zu-
kunft Wesentliches zu versäumen. Das Memorandum der Sc-
zession an das Unterrichtsministerium vom Jahre 1901 stellt die
Forderung auf, „daß die Moderne Galerie der Gegenwart und
Zukunft, nicht der Vergangenheit gehört und daß sie, soll sie
einen Sinn haben, rascher Erwerbung von Hauptwerken jener
Meister bedarf, welche die Kunst des heutigen Europa bedeuten."
Diese Grundeinstellung hat auch heute noch volle Geltung. Daß
es möglich war, in den letzten Monaten mit Hilfe des Bundes-
ministeriums für Unterricht von zwei führenden europäischen
Bildhauern der Gegenwart, von Giacometti und Marino Marini,
je ein Werk aus dem Jahre 1955 für die Sammlung einzukaufen,
sei ein gutes Omen für die Zukunft.
Nur dann können und werden die Museen ein wirksamer, echter
und ein sehr wichtiger Kulturfaktor sein, wenn es möglich ist,
sie neuzeitlich zu gestalten, sie lebendig zu machen; d. h. auch
die moderne, die lebende Kunst in das Museumsprogramm ein-
zufügen und die Grenzen dieses Programmes wirklich weltweit
zu stecken. Um es sehr realistisch zu sagen: allein die jetzt in
der Akademie gezeigten Kunstwerke stellen Millionenwerte dar,
die man nicht brach liegen lassen darf.