ungeheuren Anmaßung. Protest gegen diese Totalübernahme
aller himmlischen und irdischen Rechte und Ansprüche durch
den Absolutismus des französischen Königs war das Denken der
Cartesiancr, mit ihrer Trennung zwischen res cogitans und res
extensa, ebenso wie das Denken der Skeptiker um den Huge-
notten Bayle, wie die Frömmigkeit der Hugenotten, die Gott als
Etre Supreme, als „Höchstes Wesen" anzusprechen begannen
(die bekannte Formulierung der französischen Revolution), um
dem „verfluchten König", der sie austrieb oder bis in den Tod
verfolgte, nicht die Identifizierung mit dem Gott-König zu er-
leichtern. Protest gegen diese Überforderung des Barocks war
genau so das Denken der jansenisten, der Messieurs von Port
Royal, mit deren ehrwürdigem Haupt, Antoine Arnauld, Leibniz
denkwürdige Briefe wechselt, wie die gesamte Geistigkeit Fenc-
lons, des großen bischöflichen Gegners Ludwigs XIV. und des
Bossuet, jenes großartigen Bauern, mit dem Leibniz ein harter
und höflicher Austausch im letzten unversöhnlicher Meinungen
verbindet. Leibniz verteidigt die von Ludwig XIV. verfolgten
Hugenotten (sein Briefwechsel mit dem katholischen Konver-
titen, Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels liefert dafür schöne
Zeugnisse), deren Spiritualitiit ihm zutiefst fremd ist, er schiitzt
Fenelon, achtet seinen großen Gegner Descartes und Spinoza,
mit dem er noch persönlich zusammenkommt, und dessen Nach-
laß ihm zum Teil angeboten wird: es ist aber wohl kein Zufall,
daß Leibniz hier, obwohl er in Ludwig XIV. den großen Feind
des Hauses Österreich und des Reiches zeitlebens bekämpft, hier
die letzten Zusammenhänge nicht ganz durchschaut: zu tief ist
er der prekären Welt des Barocks verbunden.
Das, was er selbst den Engländern, und Newton vor allem, leise
vorwirft, nämlich, die neu-alte Einigung von Gott und Welt,
Geist und Glauben, Herz und Verstand, zu verfehlen, wurde ihm
selbst bald vorgeworfen: die Generation, die nach ihm kam,
wollte ihm die prästabilierte Harmonie und seine Theodizee nicht
mehr glauben: Wie? gibt es das denn wirklich? Dieses Zu-
sammenspiel des Reiches der Geister und des Reiches der Natur,
der Materie, der Mechanik. Wie ist denn das möglich?
Leibnizens Weltentwurf - und damit bereits der geistige und
geistespolitische Hintergrund der Welt Fischers von Erlach -
beruht auf seinem unerschütterlichen Glauben an die Heilsmacht
des Gottesreichcs. Dieser Glaube ist ein politischer, wissenschaft-
licher, „vernünftigcr" und religiöser Glaube; und ist, in dieser
Vielfalt, immer ein tektonischer Glaube: bauwillig, dienst-
willig, ordnungslicbend, offen allen Anforderungen und "gerech-
ten" Ansprüchen aller Herren, die im Dienste dieses Reiches
arbeiten.
Fischer und Leibniz spüren, in allen Poren, und tiefer als es der
Tagesverstand vermittelt, die „europäische Ordnungskrise", das
Auscinandertreten der Staaten, der politischen, wissenschaft-
lichen, religiösen und kulturellen Elemente. Schon ist Deutsch-
land zerklüftet in einen protestantischen Norden, der sich absetzt
vom katholischen Süden. Frankreich, England, Spanien (Hispani
civiliter mortui - mit diesem kurzen Verdikt sagt Leibniz den
Zerfall des spanischen Weltwcsens an) zerfallen bereits in zwei
Völker (die „Beiden Frankreich", die zwei England und zwci
Spanien sind im 17. Jahrhundert erstmalig politische und geistige
Wirklichkeit geworden). Da gilt es, soll das Reich nicht ganz
zerfallen - das eine Reich des Glaubens, der Geistigkeit, Kultur,
der Weltordnung Gottes -, sorgsam alle Elemente zu kom-
ponieren, wörtlich und geistig zusammenzusetzen, aneinander-
zufügen, die konstruktiv notwendig sind. Fischer weilt 1682 bis
1686 in Italien (Leibniz weilt 1697-1700 in Süddeutschland, Ita-
lien, dann 16 Monate in Wien, 1712-1714, und bis zu seinem
Tode währt die Freundschaft mit Prinz Eugen), 1704fO5 in Berlin
bei Schlüter, der zwei Jahre vor Leibniz stirbt; er trägt aus dem
ganzen antiken und barocken Raum Alteuropas Bauelemente zu-
sammen, verarbeitet sie in seinem Stichwcrk „Entwurf einer
Historischen Architektur" 1721, so wie Leibniz alle seine natur-
wissenschaftlichen, philosophischen, mathematischen, logischen,
politischen und historischen Arbeiten (nicht nur in seiner „Reichs-
geschichte", in den Annales Imperii Brunsvicenscs) versteht als
eine Komposition. Kompositio als Aufzeigung des Kosmosbaues
dcs „Gottesstaates", der, im Himmel und auf Erden, im Reich der
Natur und der Gnade, beherrscht, geführt, geordnet ist von der
Majestät Gottes. Gott ist im Reich der Natur der Herr der Ma-
schinen. „Masch ine" ist, bei Leibniz, durchaus im Sinne des
Barocks, ein natürliches Wunder, ein herrliches Kunstwerk des
Künstlers Gott und des Künstlers Mensch: ein Werk, zur Feier,
Ehre, Lob, zum Ruhm Gottes, des Kaisers und der schönsten
Monaden, edler Herren und Frauen, erdacht: Maschine des ba-
rocken Theaters und Welttheaters. Wie das vom Barock und von
Leibniz verehrte Alt-China neigte diese höfische Barockwelt noch
dazu, die Maschine primär als Wunderwerk im Dienste ihrcr
Feierwelt zu verwenden, nicht zu schnödem, niedrigem Geld-
erwerb, zu sklavischem Dienst an materiellem Gewinn, wie in
dcr calvinisch-sakularisierten Welt Westeuropas... Diese Wa-
schinen (und alle natürlichen Dinge sind „Maschinen") sind spiel-
mäßig, vom höchsten Künstler und Weltbaumeister abgestimmt
auf den Dienst im Gottesstaat, im Reich der Freiheit und Gnade:
hier herrscht Gott als Monarch, als kaiserliche Majestät über
die Monaden, die freien Geister, die ihm in Freiheit und Freude,
in schöner Ordnung dienen. Die Architektur des Kosmos fußt
also auf diesen beiden Säulen, auf diesen beiden Kraftfeldern.
Unschwer vermögen wir von hier das Bemühen Fischers um die
Verschmelzung von Langbau und Zentralbau einzusehen, sein
Ideal der Ellipse: hinter ihm steht, genau so wie hinter den
kaiserlichen Stiften und Abteien des Barocks die Kaiserpfalzen
und Dome der ottonischen und salischen Epoche stehen (deren
Doppelchörigkeit in Ostwerk und Westwerk entsprechen die
Kaisersiilc und Kirchen dieser benediktinisehcn barocken Stifte),
die alte Reichsidee von der gemeinsamen Weltregierung durch
Kaiser und Papst. Fischers Karlskirche entspricht Leibnizens
Verherrlichung der gemeinsamen Weltregierung durch Kaiser
und Papst in seiner Reichsgeschichte des Mittelalters, wo er die
karolingische und ottonische Einheit mit glühenden Worten
preist, entspricht seine Arbeit für die „Reunion" der Katholiken
und Protestanten gemeinsam mit Bischof Rojas de Spinola von
Wiener Neustadt und dessen Nachfolger Graf Buchhaim, Abt
Molanus von Loccum, Kaiser Leopold I., Innozenz XI. und seinen
hannoveranischen Fürsten. Die außerordentlichen Anstrengungen
Leibnizens sind bekanntlich gescheitert. Das außerordentliche
Werk Fischers aber bezeugt auch heute noch, in seiner Einung
gegensätzlicher Elemente, in der Kraft der Zusammenhallung
konträrcr Kraftfelder (erinnern wir uns daran, daß Leibniz den
Raum als eine „Ordnung von Koexistenzen" und
die Zeit als „eine Ordnung von Sukzessionen" de-
finiert hat - gerade im Briefwechsel mit Clarke, gegen Newton,
1715,46), wie gewaltig die Anstrengung der schöpferischen Ver-
nunft auf dem Höhepunkt unseres Barocks war: Wille, die aus-
cinanderklaffenden Gegner und Gegensätze noch einmal zusam-
menzuführen; das Alte Reich und die neuen Ordnungen, wie sie
Wissenschaft, Mathematik und politische Raison sichtbar werden
lassen.
Wer nur das Theater, die Feierwelt, die Illuminationcn, die
Schaugerüste und Malereien unseres Barocks besieht, vermag
nicht allzuschwer dem Eindruck zu erliegen, daß es sich hier
um eine großartige, dramatische, aber welt- und wirklichkeits-
fremde Phantasmagorie handle. Nicht unfcrn ihren späten Erben,
um Grillparzers und Raimunds Zauberwelt der Dichtung und des
Traums. Wer Fischer von Erlach und Leibniz geistig crfaßt, sieht,
wie stark der politische Wille dieser Zeit war: ein Wille, mitten
in den disparaten Phänomenen der Zeit und angesichts einer stei-
genden „Desparation", einer tiefen geheimen Verzweiflung der
Seelen am guten Sinn des Seins und der Welt, diese Erde und die
Gesellschaft der Menschen zu gestalten als ein Abbild des Kos-
mosbaues, des Weltenbaues des allerhöchsten Monarchen, Ar-
chitekten, Künstlers, der göttlichen Majestät. Das Hcrrschcrliclte