die Konstruktion hinaus nicht reicht, gibt man den Dekoratcuren
wieder freie Hand, schon weil zweitens das sogenannte Publikum,
das Weichheits-Kollektiv schlechthin, danach verlangt.
Nicht nur die ausgestellten Porzellanmuster, sondern auch
Punkt 2 und 3 der Diskussionseinleitung können als Bestätigung
bezeichnet werden. Da nämlich war von „Schmuck" und schließ-
lich sogar von „Kompromiß" die Rede, was jeden Zweifel daran
ausschließt, daß es sich nicht etwa um eine bildnerische Anrei-
cherung der mit der Konstruktion, dem Zweck und der Funk-
tion bezogenen klaren Grundposition handelt, sondern vielmehr
eben um weiche Stellen und damit letztlich auch hinsichtlich der
„Gemütlichkeit" um eine sentimentale und geschmackige Ent-
gleisung. Schmuck ist immer ein zusätzliches Element, dem die
Schönheit der guten Form als eine in Form und Farbe geschlos-
sene Ganzhejt und Einheit gegenübersteht Diese Ganzheit und
Einheit aber kommen nie durch einen „KompromifW zustande,
sondern einzig als die Krönung der Konstruktion vom Bildneri-
sehen her. Wenn also Philip Rosenthal eine „Mischung aus indu-
strieller Disziplin und künstlerischer Kraft" verlangte, so ist das
ganz in Ordnung, nur ist es mit der künstlerischen Kraft ver-
teufelt schlecht bestellt, wenn sie, wie etwa bei den gezeigten
„Glückszeichen", Monogrammen oder gar den blauen Rosen-
mustern, „Schmuck" und „Kompromiß" erzeugt.
Wenn man unter der „Moderne" in der Gebrauchsgutformung
die Periode verstehen will, in der die Form der Dinge allein aus
ihrer wie immer gearteten Bestimmung heraus gewonnen, also
eben ihre wirkliche Gestalt gebildet wird, so dürfte das so eini-
germaßen ins Schwarze treffen. Von der „GemütlichkeiW wieder,
beispielsweise eines Hauses oder Raumes, läßt sich sagen, daß
sie auf deren warmer, beseelter Harmonie beruht, die mit Nip-
pes, Plüsch, Verzierung und dergleichen genau so wenig zu tun
hat wie mit geschneckerlter Geziertheit und gestenrcicher Über-
schwänglichkeit im menschlichen Benehmen.
Nicht also, daß etwa ein altes Biedermeierzimmer oder selbst
ein von früheren Zeiten her angeriiumter Salon unter allen Um-
ständen ungemütlich wären. Wenn die Besitzer Herz genug ha-
ben, strahlen sie das sogar in einen derartigen Salon aus. Grotesk
und hoffnungslos wird die Geschichte erst, wenn man heute noch
entsprechende Gegenstände fabrizieren wollte. Wir nämlich brau-
chcn nichts, was uns in angeblich bessere Zeiten flüchten, ge-
schmacklich ästhetisiercn oder sonstwie säuseln hilft, sondern
genau das, was uns mitten in unsere Zeit hineinstellt, ihre Ro-
heiten, Kälten oder Rationalismen überwinden und damit eben
erst die volle, runde Form für sie bilden und gewinnen lehrt.
Daß das nicht durch Verdrängung des Funktionalismus, sondern
nur durch ein tieferes und umfassenderes Verständnis der Funk-
tion, nicht durch Schmuck an den Dingen, sondern durch ihre
reichere Gestalt, nicht durch einen Kompromiß, sondern nur
durch eine klarere geistige Entschiedenheit zu erreichen ist, steht
außer Frage. Statt des „Zweifrontcnkrieges" also kommt nur
der Kampf an einer Front und auch hier nicht einmal so sehr
mehr gegen irgendwen und irgend etwas, wie für die Syn-
these zwischen technischer Fertigung und bildnerischer Gestalt-
ausreifung in Betracht.
Wohl den Ländern, die in dieser Hinsieht bereits die nötige Er-
fahrung, die entsprechende Sichcrheit und den Mut der Selbst-
verständlichkeit besitzen. Sie können durch ihr Beispiel anderen
den Weg erleichtern. Wo aber diese Beispiele in der Alltags-
realität zu dünn gesät sind, da sollten wenigstens entsprechende
Sammlungen einwandfreien Gebrauchsgutes nicht nur gegründet
werden und im Dornröschcnschlummer vegetieren, sondern auch
als Energiezentrcn funktionieren und durch Diskussionen, Preis-
ausschreiben und dergleichen die produktionstechnischen, die
bildnerischen Elemente und schließlich auch das Publikum in
einen Kontakt und damit ins Gespräch bringen helfen.
].L.
ZWEI WVIENER GOLDSCHMIEDEARBEITEN VON 1760
NEUERWERBUNG DES ÖSTERREICHISCHEN MUSLZUMS FÜR ANGEWANDTE KUNST
Von IGNAZ SCHLOSSER
Die Kriege, die Ludwig XIV. geführt hat, haben die großen Sil-
berschätze des französischen Hofes und der Adelshäuser aufge-
zehrt. Die Kriege, die Napoleon den Ländern Europas aufzwang,
haben den Bestand an Goldschmiedearbeiten gewaltig rcduzieri.
Die österreichische Repunzierungsvorschrift von 1806 mit ihrer
gewaltigen Verteuerung der Punzierungsgebühr, die noch dazu
in klingender Münze bezahlt werden mußte, war schon ein sehr
empfindlicher Aderlaß; am 1. April 1809 folgte eine freiwillige
Gold- und Silberanleihe, die allerdings nicht den gewünschten
Erfolg zeiligte. Am 19. Dezember 1809 wurde das Silbereinliefe-
rungspatent erlassen, demzufolge mit ganz geringen Ausnahmen
sämtliche Silbergeräte bei den Einlösungsämtern abzuliefern wa-
ren. Bci den kirchlichen Geräten wurden von der Ablieferungs-
pflicht nur die Kuppa der Kelche oder Ziborien, die Lunula in
den Munstranzen, die Patenen und die Gefäße zur Aufbewahrung
des geweihten Öles ausgenommen. Vor dem Einschmelzen konn-
ten nur jene Eigentümer ihre Silbergegenstände retten, die im-
stande waren den Metallwert in Conventionsmünze, d. h. in
Hartgeld, zu erlegen. Das Einschlagen einer Punze, der soge-
nannten Befreiungspunze, war die Bestätigung für das Freikaufen
des Gegenstandes.
Allerdings gab es noch eine zweite Möglichkeit, Kostbarkeiten
aus Silber vor dem Zugriff der öffentlichen Hand zu retten -
nämlich das Verstecken; diese Methode mag bei der Monstranz
und dem Zihorium, von denen hier die Rede sein soll, angewendet
worden sein; denn sie tragen keine Befreiungspunzc. Vor dem
Einschmelzen waren die beiden Stücke bewahrt worden, wohl
aber in der schweren Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sind
sie ihrer künstlerischen Heimat verlorengegangen; dem Zusam-
mentreffen glücklicher Umstände ist es zu verdanken, daß sie
durch Kauf wieder heimgekehrt sind.
Die künstlerische Wirkung von Monstranz und Ziborium ist ganz
und gar auf edelste Treibarbeit gestellt, auf den Prunk der Ver-
wendung von Edelsteinen und Emails wurde verzichtet. Die
Hostie umgibt ein innerer Rahmen mit den symbolischen Ähren
und Trauben und ein weitgespannter äußerer Rahmen mit Gott
Vater, anbetenden Engeln und dem Hi. Geist.
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