Abb. 4. Bonnnrd: Straßenszcne, um 1895. Skizze
zur Lithographie „Frau mit Regenschirm".
dreißiger Jahren, machen es schon hinreichend deutlich, daß diese
Frau gerade in ihrer theorienlreien Einfachheit für Kandinsky
wie ein Stück mütterlicher Erde und klarer Natur gewesen sein
muß, auch wenn sie ihn damit nicht halten konnte. Man versteht
weiter, daß ihre gemeinsame Zeit in Murnau das Wesentliche an
Kandinsky selbst, an seiner individuellen Persönlichkeit erweckte,
während er später mehr zu einem experimentellen Funktionär
der allgemeinen modernen Formproblemznik und ihres An-
spruchs wurde.
Kaum geringer übrigens ist der Kontrast zum späteren Kan-
dinsky, wenn man, noch ganz mit ihm beschäftigt, als nächste
Ausstellung die von Pierre Bonnard im Kölner Kunsthaus Lem-
pertz, in das sie nach Braunschweig und Bremen kam, besucht.
Sicher sind das in Anlage und Wurzel verschiedene Welten und
Zeiten, und wahrscheinlich kann man heute kaum mehr wie
Bonnard den Pinsel führen, weil man die Welt nicht mehr so
sieht wie er: So heil und heiter, so ohne Sorge. Das Auge sieht
sie heute wenigstens, von seiner im Psychischen und Geistigen
begründeten Unrast anders. Aher wie wunderbar und reich hat
sich die die Welt genießendc Schau Bonnards in Malerei, in „belle
peinture" übersetzt.
Diese Bilder sind nicht einfach „nachimprcssionistisch" oder gar
mit spielender Leichtigkeit auf Holz, Papier und Leinwand ge-
worfen, sondern man fühlt vielmehr deutlich, wie hier fast müh-
selig und mit vorsichtiger Hand, Steinchen um Steinchen, touche
um touehe, in einer Art von Mosaik der stille Glanz zum Leuch-
ten in der Farbe gebracht wird, in dem Bonnards Auge die Welt
verklärt sah. Da ist nichts gewischt oder bloß so hingefetzt,
sondern wirklich ein Ganzes aus lauter echten Teilchen in eins
gefügt. Diese Interieurs also mit den Akten am Waschtisch und
im Spiegel, diese Landschaften von Paris, von der Seine und in
Le Cannet, wo der damals 57jährige Künstler 1925 bis zu seinem
Tode (1947) lebte, und eine der schönsten unter ihnen der „Gar-
ten" (ca. 1935), der ein einziges Wunder farbigen Blühcns ist,
sind eine Welt, die durchaus als „innerlich" bezeichnet werden
kann, wenn sie auch auf der Erscheinungswelt basiert. Das tiefe
Glück des Schauens und Genießens hat sie neu geschaffen.
Anders natürlich ist solche „Neuerschaffung" auf den land-
schaftlich motivierten Farblithos eines Alfred Manessier in der
Ausstellung „Moderne farbige Graphik aus Paris" im Kölnischen
Kunstverein in der Hahnentorburg. Manessier hat die optische
Erfahrungswelt völlig in eine Dichtung umgcmünzt, in der die
Farben und die durch sie geforderten Formen selbständige „V0-
kabeln" sind. Aber der innere Klang ist bei ihm mit dem von
Bonnard und nicht etwa mit dem des späten Kandinsky verwandt,
weil nur in den ersten beiden Fällen echte Dichtung statt einer
systematischen Tabellen-Demonstration vor sich geht. Neben
Manessier weisen auch Maurice Esteve, Gustave Singier und der
eigenartig derbe, aber starke Pierre Soulages persönliche bild-
nerische Züge auf, während der mit zwölf Katalognummern ver-
tretene Hans Hartung mit seiner Raumgraphik sich nur selbst
variiert, Antonio Musie (der diesjährige internationale Graphik-
Prcisträger der Bicnnale in Venedig) von der Poetik zur Ara-
beske bloßer Stempelzeichen übcrging, Mario Prassinos trotz
aller Dunkelheit im Dekorativcn bleibt und Zao-Wou-Ki, ein
in Paris lebender Chinese (um hier nur die mit einer größeren
Anzahl von Arbeiten aufschcincnden Graphiker zu nennen), seine
Schrift-Bildzeichen in farbigen Dunst- und Schleierwolken unter-
gehen läßt.
Da gibt die „Histoire naturelle" von Max Ernst, deren 1925
entstandene 40 Blätter in der Kölner Galerie „Der Spiegel",
einer der wichtigsten Galerien Westdeutschlands, zu sehen sind,
schon ein entschiedeneres Bild, das freilich nicht nach jedermanns
Geschmack sein dürfte. Doch diese sozusagen der Begegnung
mit der Holzmaserung entsprungenen Visionen einer seltsam
starren und kalten, aber produktiven und zugleich unheimlichen
Natur sind voller Spannung. In Max Ernst also erreicht der
Surrealismus, man mag sonst zu ihm stehen, wie man will, eine
Intensität des Ausdrucks für das schlechthin Fremde, um nicht
zu sagen Feindliche, derer nur jemand fähig ist, der auch die
Kraft dazu besitzt. Insofern halten diese nun schon über 30 Jahre
alten Blätter den meisten aus der Hahnentorburg mehr als stand.
Die guten und bedeutenden jedoch an dieser Stelle, vor allem
die von Manessier, und dann eben Bonnard, die Gabriele Münters
und der Teil von der Malerei Kandinskys, der in der Zeit seiner
wirklichen Gemeinsamkeit mit ihr geschaffen wurde, stellen alle
Bannung der Dämonen oder auch nur die tapfer ertragene Zwie-
sprachc mit ihnen bei weitem in den Schatten, weil Licht, Liebe
und Vertrauen Reicheres vermögen als die Furcht.
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