Abb. 3.
Kruzifixus von Tilman Riemenschnetder, Detail.
dertem Umfang zur Geltung kommt. Dunkelbraune Haare und
das gleichfarbige Geflecht der Dornenkrone umrahmen das Ant-
litz Christi, das an seiner noch recht einheitlich wirkenden alten
Fassung die allerdings schon sehr xierwischten Reste der ehemals
braundunkel gemalten Augcnstcrnc sowie längs der Oberlippe
grausehwärzliehe Linicnzüge einer Vorzeichnung erkennen lallt.
Ganz wenig blutrote Farbpunkte an dem zur Stirn lterabgreifen-
den Geäst der Dornenkrone mögen an dieser Stelle noch die
letzten Überbleibsel von den sicherlich schon ursprünglich ganz
sparsamen Angaben quellenden Blutes sein. Die gleiche Zurück-
haltung in der Verfolgung malerisch realistischer Ziele muli
auch die als tiefere Kerbe eingeschnittene Brustwunde Christi
aufgewiesen haben, die heute nur mit geringen Randspuren von
Rot in einem verhaltenen Blutton brennt. An den Nagclrisscn
der Füßc aber ist kaum etwas von einer Blutfarbe mehr zu
linden. Das Lendentueh Christi zeigt die Doppelfarbigkeit von
Gold an der Oberseite und Blau an der Fütterung. Diese inten-
sive Kontrastfarbigkeit mufS wohl ursprünglich die stärkste kolo-
ristische Kraft an dem sonst in stiller Verhaltenheit leuchtenden
Werke gewesen sein. Denn auch der heutige Alterszustand, bei
dem vor allem durch das Mitklingen des rotbraunen Bolusgrun-
des an vielen abgcschürftcn oder dünn geriebenen Stellen die
ehemals strahlenden Goldauflagen zu geheimnisdüstercm Lüster-
glanz versunken sind und das Blatt der Lendentuchfütterung in
gebrochen dunkler Blautonigkeit liegt, kann uns noch davon
Kenntnis geben, daß die Gesamtheit der Fassung dieses Kruzi-
fixus von allem Anfang an nur auf sparsamste Akzentuierung
malerischer Werte aufgebaut gewesen sein muß. Diese Grundlage
gibt auch heute noch der Erscheinung des Gekreuzigtcn ein
feierlich heiliges Entrüektscin. Ergänzend sei hier noch hinzu-
gefügt, daß die Blaufarbe der Linterscite des Lendentuchcs aus
sogenanntem Bergblau oder Azurit besteht, das so gut wie allge-
mein hei gotischen Fassungen Verwendung gefunden hat und
hier ehemals als tiefes, sattes Blau innerhalb der farbigen Ge-
staltung des Bildwerkes zu besonderer Wirkungsgültigkeit ge-
kommen sein wird. Dem Goldglanz des Lendentuchs gegenüber-
gestellt, konnte dessen Stoffliehkeit einer wehenden Fahne glei-
chen, die eng um den Leib Christi geschlungen, die Wappen-
farbcn jenseitiger und irdischer Majestät des Erlösers triigt:
Oben das überlegen führende Gold, als Symbol paradiesischen
Glanzes, unten aber das Blau des Himmels über unserer Erde.
Beides aber wie aus religiös gedanklicher Sicht zu mystischer
Einheit verbunden.
Unter dem Eindruck gerade dieser neugefundencn Schöpfung
Riemenschneiders fühlt man sich an ein urkundliches Dokument
aus dessen Leben herangeführt, das seiner besonderen Aussage-
form nach manches an die Hand zu geben scheint, was zu Ver-
mutigungen über die künstlerische Herkunft der Fassung an
diesem Werk Anlaß geben kann. Was hier an Vermutungen
nachfolgend angeschlossen wird, muß noch seine [Überprüfung
durch die Spezialforschung, der das Werk mit diesem Bericht
übergeben wird, finden. Die genannte urkundliche Notiz berich-
tet, daß der junge Riemenschneider im Dezember des Jahres
H83 vor den Würzburger Bürgermeistern sein Gelöbnis auf der
„hantwerkslcute plicht" bei seiner Aufnahme als Geselle in die
Zunft der „Maler, Bildsehnitzer und Glaser" als „malerknecht"
abgelegt hat. Von diesem Dokument ausgehend, erscheint die
Frage berechtigt, ob der junge Riemenschneider während seiner
Gcscllenzeit nicht auch im liaßmalergewcrbc eine Ausbildung
erfahren haben kann, ohne daß es dabei jemals seine Absicht
gewesen wäre, es darin bis zum Meister zu bringen, der dann
auch zunftmäßig berechtigt gewesen wäre, seine Arbeiten in der
eigenen Bildhauerwerkstatt farbig zu fassen. jedenfalls aber kann
es angesichts des außergewöhnlich dünnen Schiehtenbaues der
auch farbig so zurückhaltenden Fassung des Kruzifixus, die sich
von den sonst üblichen, nur von Malern hergestellten Holz-
figurenfixssungen recht wesentlich unterscheidet, nicht als ab-
wegig angesehen werden, diese als ein Ergebnis von Arbeiten
des Künstlers selbst anzunehmen, bei denen der Bildschnitzer
seine bildhauerischen Absichten nicht allzusehr überdeckt und
übertönt sehen wollte. Damit aber würde in dieser Fassungsform
des Werkes, das stilistisch wohl unzweifelhaft der jugendcpoche
des Künstlers - und da wahrscheinlich noch den achtziger jah-
ren zugehört - ein Llnternehmen des jungen RlCIHCHSChHCldLT
vorliegen, das er seinen persönlichen und künstlerischen An-
schauungen gemäß zur Durchführung gebracht hat. Daß Rie-
menschneider dann bald ganz auf jede Polychromierung seiner
Werke verzichtet hat, kann hier ebenfalls mit einbezogen
werden.
Wlenn mit alledem auch eine zeitliche Eingliederung dieser
Schöpfung Riemensehneiders versucht wurde, so sei dieser noch
die naheliegendc Frage angeschlossen, ob dieser Kruzifixus nicht
vielleicht doch ehemals dem Kreuzigungsaltar für das Stift
Wiblingen bei Ulm, von dem bloß die Scitengruppen in der
Fürstlich XVallersteinscht-n Sammlung in Maihingen als bisher
noch erhalten festgestellt werden konnten, zugehört. Soviel mir
bekannt geworden ist, sollen auch diese Seitengruppen Fassun-
gen tragen, von denen allerdings noch festzustellen wäre, ob
diese der gotischen Zeit zugehören und weiters, ob sie mit ähn-
licher Zurückhaltung im tcehnis wen und wirkungsmäiligen Auf-
bau angelegt sind. Auch die (iirößenmaße dieser Seitcnfigtiren