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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 3)

Abb. 3. 
Kruzifixus von Tilman Riemenschnetder, Detail. 
dertem Umfang zur Geltung kommt. Dunkelbraune Haare und 
das gleichfarbige Geflecht der Dornenkrone umrahmen das Ant- 
litz Christi, das an seiner noch recht einheitlich wirkenden alten 
Fassung die allerdings schon sehr xierwischten Reste der ehemals 
braundunkel gemalten Augcnstcrnc sowie längs der Oberlippe 
grausehwärzliehe Linicnzüge einer Vorzeichnung erkennen lallt. 
Ganz wenig blutrote Farbpunkte an dem zur Stirn lterabgreifen- 
den Geäst der Dornenkrone mögen an dieser Stelle noch die 
letzten Überbleibsel von den sicherlich schon ursprünglich ganz 
sparsamen Angaben quellenden Blutes sein. Die gleiche Zurück- 
haltung in der Verfolgung malerisch realistischer Ziele muli 
auch die als tiefere Kerbe eingeschnittene Brustwunde Christi 
aufgewiesen haben, die heute nur mit geringen Randspuren von 
Rot in einem verhaltenen Blutton brennt. An den Nagclrisscn 
der Füßc aber ist kaum etwas von einer Blutfarbe mehr zu 
linden. Das Lendentueh Christi zeigt die Doppelfarbigkeit von 
Gold an der Oberseite und Blau an der Fütterung. Diese inten- 
sive Kontrastfarbigkeit mufS wohl ursprünglich die stärkste kolo- 
ristische Kraft an dem sonst in stiller Verhaltenheit leuchtenden 
Werke gewesen sein. Denn auch der heutige Alterszustand, bei 
dem vor allem durch das Mitklingen des rotbraunen Bolusgrun- 
des an vielen abgcschürftcn oder dünn geriebenen Stellen die 
ehemals strahlenden Goldauflagen zu geheimnisdüstercm Lüster- 
glanz versunken sind und das Blatt der Lendentuchfütterung in 
gebrochen dunkler Blautonigkeit liegt, kann uns noch davon 
Kenntnis geben, daß die Gesamtheit der Fassung dieses Kruzi- 
fixus von allem Anfang an nur auf sparsamste Akzentuierung 
malerischer Werte aufgebaut gewesen sein muß. Diese Grundlage 
gibt auch heute noch der Erscheinung des Gekreuzigtcn ein 
feierlich heiliges Entrüektscin. Ergänzend sei hier noch hinzu- 
gefügt, daß die Blaufarbe der Linterscite des Lendentuchcs aus 
sogenanntem Bergblau oder Azurit besteht, das so gut wie allge- 
mein hei gotischen Fassungen Verwendung gefunden hat und 
hier ehemals als tiefes, sattes Blau innerhalb der farbigen Ge- 
staltung des Bildwerkes zu besonderer Wirkungsgültigkeit ge- 
kommen sein wird. Dem Goldglanz des Lendentuchs gegenüber- 
gestellt, konnte dessen Stoffliehkeit einer wehenden Fahne glei- 
chen, die eng um den Leib Christi geschlungen, die Wappen- 
farbcn jenseitiger und irdischer Majestät des Erlösers triigt: 
Oben das überlegen führende Gold, als Symbol paradiesischen 
Glanzes, unten aber das Blau des Himmels über unserer Erde. 
Beides aber wie aus religiös gedanklicher Sicht zu mystischer 
Einheit verbunden. 
Unter dem Eindruck gerade dieser neugefundencn Schöpfung 
Riemenschneiders fühlt man sich an ein urkundliches Dokument 
aus dessen Leben herangeführt, das seiner besonderen Aussage- 
form nach manches an die Hand zu geben scheint, was zu Ver- 
mutigungen über die künstlerische Herkunft der Fassung an 
diesem Werk Anlaß geben kann. Was hier an Vermutungen 
nachfolgend angeschlossen wird, muß noch seine [Überprüfung 
durch die Spezialforschung, der das Werk mit diesem Bericht 
übergeben wird, finden. Die genannte urkundliche Notiz berich- 
tet, daß der junge Riemenschneider im Dezember des Jahres 
H83 vor den Würzburger Bürgermeistern sein Gelöbnis auf der 
„hantwerkslcute plicht" bei seiner Aufnahme als Geselle in die 
Zunft der „Maler, Bildsehnitzer und Glaser" als „malerknecht" 
abgelegt hat. Von diesem Dokument ausgehend, erscheint die 
Frage berechtigt, ob der junge Riemenschneider während seiner 
Gcscllenzeit nicht auch im liaßmalergewcrbc eine Ausbildung 
erfahren haben kann, ohne daß es dabei jemals seine Absicht 
gewesen wäre, es darin bis zum Meister zu bringen, der dann 
auch zunftmäßig berechtigt gewesen wäre, seine Arbeiten in der 
eigenen Bildhauerwerkstatt farbig zu fassen. jedenfalls aber kann 
es angesichts des außergewöhnlich dünnen Schiehtenbaues der 
auch farbig so zurückhaltenden Fassung des Kruzifixus, die sich 
von den sonst üblichen, nur von Malern hergestellten Holz- 
figurenfixssungen recht wesentlich unterscheidet, nicht als ab- 
wegig angesehen werden, diese als ein Ergebnis von Arbeiten 
des Künstlers selbst anzunehmen, bei denen der Bildschnitzer 
seine bildhauerischen Absichten nicht allzusehr überdeckt und 
übertönt sehen wollte. Damit aber würde in dieser Fassungsform 
des Werkes, das stilistisch wohl unzweifelhaft der jugendcpoche 
des Künstlers - und da wahrscheinlich noch den achtziger jah- 
ren zugehört - ein Llnternehmen des jungen RlCIHCHSChHCldLT 
vorliegen, das er seinen persönlichen und künstlerischen An- 
schauungen gemäß zur Durchführung gebracht hat. Daß Rie- 
menschneider dann bald ganz auf jede Polychromierung seiner 
Werke verzichtet hat, kann hier ebenfalls mit einbezogen 
werden. 
Wlenn mit alledem auch eine zeitliche Eingliederung dieser 
Schöpfung Riemensehneiders versucht wurde, so sei dieser noch 
die naheliegendc Frage angeschlossen, ob dieser Kruzifixus nicht 
vielleicht doch ehemals dem Kreuzigungsaltar für das Stift 
Wiblingen bei Ulm, von dem bloß die Scitengruppen in der 
Fürstlich XVallersteinscht-n Sammlung in Maihingen als bisher 
noch erhalten festgestellt werden konnten, zugehört. Soviel mir 
bekannt geworden ist, sollen auch diese Seitengruppen Fassun- 
gen tragen, von denen allerdings noch festzustellen wäre, ob 
diese der gotischen Zeit zugehören und weiters, ob sie mit ähn- 
licher Zurückhaltung im tcehnis wen und wirkungsmäiligen Auf- 
bau angelegt sind. Auch die (iirößenmaße dieser Seitcnfigtiren
	        
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