DREIHUNDERT JAHRE FASCHING IN WIEN
Von ERWIN MI
"TAG
Fasching in Wien - das klingt zunächst wie der Titel eines bil-
lige Effekte visierenden Filmstrcifens. In diesen drei Worten liegt
indes ein ansehnliches Stück Kullurgeschichtc. In den Zonen der
Heiterkeit, des Lebensgenusses, der den Alltag überhöhenden
Impulse geben sich der Einzelne und die Masse in völliger Natür-
lichkeit. Sohin ist es nicht übertrieben, in der typischen Wieneri-
sehen Art lieste zu feiern, einen Beitrag zur Psyche des Oster-
reichers zu suchen. Auch die Lustigkeit bewegte sich hierzu-
lande innerhalb gewisser Grenzen, die sich von der Steifheit
eines bloß-formalen Pomps ebenso fernzuhalten wußte, wie vom
Ausarten ins Exzessive. Des lieben Augustin Lächeln unter Trä-
nen und sein Widers el: die Sarkasmcn Grillparzers, deren Dis-
sonanzen ihre Auflösung in einem Humor der Resignation fan-
den, bestimmen die Demarkationslinien einer Heiterkeit echt
österreichischer Prägung. Zu verschiedenen Zeiten verschieden
kostümiert, blieb sie ihrem Wescnskern nach stets die gleiche.
Es ist kein Zufall, daß die lückenlose Reihe der Wiener Fa-
schingschronik in der Renaissance anhebt, jenem Zeitalter, von
welchem Papini aussagt, in ihm halten sich transzendcntalcs Stre-
ben und irdisches Sinnen die Waagschale. Nach Beendigung eines
dreißig Jahre währenden Zerstörungskriegcs jedoch schlug das
Pendel mächtig in die weltliche Richtung aus. l)ie notgedrun-
gen lang gebändigte Lebenslust forderte ihre Rechte. Sie paßte
sich in ihren Äußerungen naturgemäß den einzigen Vorbildern
an, welche in diesen Zeiten maßgebend waren: dem Hof und dem
Adel. Beiden diente wiederum das kirchliche Jahr als Regula-
tiv. Nimmt man die Hanswurste und Spaßmacher des niedrigen
Volkes aus, deren Beruf es war, zu allen Zeiten Tanzlust zu ent-
fesseln, so kamen für die Abhaltung von Karnevalsfestlichk-eiten
bloß die Wochen vom Dreikönigstag bis zum Aschermittwoch in
Betracht. In zahlenmäßiger Hinsicht überstiegen jedoch die Lust-
barkeiten des Volkes die Feste der Gesellschaft. „Sonntag und
Feiertag hörte man ein beständiges Geigen, Leiern, Springen,
Tanzen in allen NVirts- und Schankhäuscrn, nachmittags bis in
die Nacht" berichtet ein Schweizer Kleriker als hervorstechend-
stcn Eindruck eines Wiener Reisebesuchs in den Fasehingstagen.
Daß Türkennot und Pestepidcmie eine bereits zur Tradition ge-
Das Elysium in Wien in einem unterirdischen Tanzsaal des Seiterhules.
Llthogruphle von Albrecht.
„Wiener Faschingslust."
wordene liaschingsfrcudigkeit wohl vorübergehend einschränken,
aber keineswegs aufheben konnten, beweist die schon damals
erreichte Bodunstiindigkcit und Popularität der Institution.
Unter Karl Vl., dem Spanier auf dem deutschen Kaiserthron,
bekam der Fasching wohl zuweilen etwas gravitätische Züge.
Dem Tanz gesellten sich andere Vergnügungsarten wie Schlit-
tenpartien, Karusscllc, Liebhabertheatcr, maskierte Redouten.
Aber unter den Fesseln eines von barocker Geistesanschauung
diktierten Protokolls, entfaltete sich unverkennbar die echt wic-
nerische Lebenslust, die sich grundlegend von dem Prunk Ver-
sailles und der an anderen europäischen Höfen üblichen Abge-
zirkeltheit unterschied.
In den Rcgierungsjahren Maria Thercsias wird Wien zur Wiege
der (Eenieepochc kla ischer Musik. Daß die Heroen der Musik
ihre Kunst nicht allein in den Dienst der ernsten Muse stellten,
war durchaus im Sinn der Wiener, von welchen Schiller aussagt,
sie verzeihen nicht, daß man sie um ein Spektakel betrüge. Keine
Geringeren als Gluck, Haydn, Mozart verschöntcn diese .,Spek-
11