sich zu seinen frühen Weggenossen wic etwa Braque zu Picasso; aus-
gereifte, feinste sublimierteste Kultur veredelt, besänftigt, sublimiert
primitives, elementares Erleben und Gestalten. Tod und Teufel sind bei
Massoi. um nichts weniger grausam als etwa bei Picasso - aber sein
Tod („Der Tod als Sieger", KaL-Nr. 2) ist ein raffinierter, zärtlicher,
unzweifelhaft perverser Tod, aber auch ein echter Proteus-Tod, der sein
Opfer mit sich identifiziert, um gleich darauf gleichsam zum Opfer seines
Opfers zu werden... So ist Massuns früher Surrealismus alles andere,
nur nicht marktschreierisch, plakathalt, vulgär, er ist aber auch weit we-
niger theoretisch-illustrativ als etwa der eines Max Ernst. Die absolute
Übcrordnung der Form, das Primat des Bildgefüges im Ästhetischen über
das Thematische - all das erscheint bei Massen als eindeutige Voraus-
sctzung seines Schaffens gegeben. Und doch - auch hier hat man nicht
das Gefühl, auf festem Grund zu stehen, man weiß nie so recht...
Und wiederum manifestiert sich der proteushafte Charakter von Mas-
sons Kunst. Inhaltlich streift die neue Periode Reste surrcalistischer
Voraussetzungen völlig ab - Freude am Leben, an der Form ersetzt
Pessimismus, Resignation und passiven Zynismus. Völlig neue Vorbilder
sucht sich nun der Künstler. Er schafft Landschaften im Stile der chine-
sischen Malerei, der Sung-Epoche, das Figurale lehnt sich an Impressio-
nistisches an. Aber eine Tendenz, die schon in der „surrealistischen" Pe-
riode gegeben war, verstärkt sich noch- der Hang zum Transitorischen,"
Transparenten. Die Faktur dieser Blätter ist von unbeschreiblicher Zärt-
lichkeit und süßer Weichheit, selten gibt es eine Kunst. die so schmei-
chelt und kost, ohne auch nur den Bruchteil eines Moments in Gefahr
zu kommen, den Untiefen des Kitsches zu erliegen. Der „Flammenvogel"
(1955, Kam-Nr. 122) vermag in der Schwarzweiß-Reproduktion kaum
eine Ahnung vom Glanz, der Gewähltheit, aber auch der Fülle an far-
biger Phantasie des Originals zu vermitteln.
Summa summarum: Es wird schwer sein, Masson den großen schöpferi-
schen Genies unserer Zeit zuzurechnen. Er ist ganz gewiß „fin du
demi-sieele", überrcife Frucht auf einem schwer um Leben und Fortbe-
stehen kämpfenden uralten Baum, in dessen Stamm die Kräfte des Ver-
gehens nicht schwächer sind als die des Werdens. Seine nächsten gei-
stigen Verwandten sind Beardsley und in gewisser Hinsicht auch Klimt.
Sicher ist er der ewige Ästhet im Kleid der Mitte des 20. jahrhunderts;
es wäre gar nicht so verwunderlich, wenn seine Kunst gerade hier in
Wien allen Erwartungen zum Trotz auf stärkeren Widerhall stoßen
sollte.
Sixypbu: (1. Zustand). 1946. 42 X 62 cm.
Kam-Nr. 42.
Dieses Blatt verkörpert stärker als andere die
Idee dcs ununterbrochenen Spiels vorn Wer-
den und Vergehen, des ruhelosen Wechsels
der Erscheinungen und Strukturen. Es ist ge-
plant, das Werk in den Besitz der Albertina
überzuführen.
Nach dem zweiten Weltkrieg, nach der Rückkehr aus der Emigration
setzt Massons eigentliche Hauptschalfenszeit ein. In der Technik findet
ein allmähliches, gleitendes Übergehcn von den Tiefdruckverlahren zu
lruchtbarsten Experimenten mit den Möglichkeiten des Flachdrucks,
der Lithographie statt. Auch hier ist das Streben des Künstlers nach
extremem Raffinement bezeichnend; immer wieder steht man geradezu
bestürzt vor Blättern, die sich schlicht „Radierung" nennen und doch
kaum mehr mit dieser Technik gemein haben als nur dcn Namen.
Ähnlich steht es mit den Lithos, bei denen sowohl die Grenzen als auch
die Voraussetzungen des Arheitsmatcrials ins Nichts verraucht sind.
GALERIE ST. STEPHAN:
Im Schlagschatten der van Gogh-Ausstellung im Belvedere stand die
Schau von Radierungen und Lithos Marc Chagalls zum Thema der
Bibel. Im wesentlichen bekam man den Kern einer Ausstellung zu
sehen, die im Sommer 1957 bei Welz in Salzburg mit größtem Publi-
kumserfolg gezeigt wurde. Daß die Ausstellung in der Galerie St. Ste-
phan ihrem Umfang nach kleiner war und lockerer gehängt werden
konnte, gereichte der Kunst Chagalls nur zum Vorteil; Chagall gehört
zu jenen SuperaArrivierten, die von ihrem Publikum, ähnlich wie das
bei Filmstars der Fall ist, auf einen bestimmten Stil - bei Chagall
„meschugge" -- festgelegt wurden und gerade in Caghalls Spätwerk
findet sich im gleichen Maß zunehmend Manieriertes, als der Künstler
sich rein äußerlich von seiner jugendzeit und den alten Bindungen an
die Geistigkeit und Religiosität seiner Heimat entfernt. Umso beglük-
kender ist es, angesichts der Bibel-Folge festzustellen, daß der Künstler
Chagall hier, wo es ums Letzte, Höchste geht, keinen Deut von künst-
lerischer Verantwortung und Seriosität geopfert hat. Die Bibel-Illustra-
tionen sind überraschend wenig „chagalliseh", vergeblich sucht man
nach kopfstehenden Juden, fliegenden Kälbchen und ähnlichen Attri-
buten. Dafür isl das Maß an innerer Monumentalität und echtem, tie-
fern Pathos aus tiefer religiöser Überzeugung kaum überbietbar: Klar
wie am ersten Tag tönt die Stimme jahwes gleichsam aus dem Munde
Chagalls, des späten Nachfahren Mosis'. Ein bekannter Wiener Kritiker
warf die Frage auf, ob das hiesige Publikum zu Chagall finden und sich
damit weiterer Großausstellungen a la van Gogh würdig erweisenl
würde; obwohl die Ausstellung in der Galerie St. Stephan durch äußere
Reklamemittel kaum publik gemacht worden war, herrschte ein rela-
tiv großer Zustrom. Soll das bedeuten, daß die Wiener, ihrer eigenen
Überzeuging zum Trotz, doch keine so entsetzlichen Provinzler sind,
wie man ihnen das gerne einreden möchte?
Flammenvogel (farbig). 1955. SO X65 crn.
Kam-Nr. 122.
Mit einer Konzentration, die Ostasiatischcs
erreicht, wenn nicht überbietet, setzt Mas-
son seine „Zeichen". Äußerster formaler
Vereinfachung steht klügstes, gewagtcstes
Ausspielen koloristischer Eflckte entgegen.
LONDON:
In London hntte lhr Berichterstatter den Vorzug, mit einem österrei-
chischen Maler zusammenzutreflen. der den künstlerischen Ruf seiner
Heimat seit mehr als drei jahrzehnten eines neuen Lebens in England
wahrt und mehrt: Es ist Alfons Purtscher, ein gebürtiger Kärntner, von
dessen Werk hier kurz die Rede sei; in zwei Jahren wird er seinen fünf-
undsiebzigsten Geburtstag begehen und es ist zu hoffen, daß die Oster-
reichische Galerie (Oberes Belvedere) sich entschließt, dieses Ereignis
durch eine würdig gestaltete Retrospektive zu begehen. Purtscher ist
Schüler von H. v. Zügel, dem bedeutenden Münchner Tierimpressio-
nisten. Auch in seinem Werk spürt man die Liebe zur Kreatur, immer
wieder ist es das große Thema Pferd - in der bildenden Kunst nach
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