Prokrustesbett gefesselt die Gestalt eines Dichters. Er trägt die
Narrenkappe auf den Kopf und die Feder in der Hand. Schnee
fällt auf ihn und seine Einsamkeit und der geteilte Mond sendet
sein gleichmütigcs Licht über den schwebenden der sich über
Gestrüpp - Birkenrinde die menschliche Gestalt angenommen
hat - emporhebt.
Seiner Enthaltsamkeit - unter dem nächsten Schicksalsrad -
stehen zwei Tiere entgegen, die sich zerfleischen. Sie sind Gleich-
nisse der Gier und des falschen Geltungsbedürfnisscs. Der Kampf
des Alltags, der laute Lärm der Menge, das Ringen um Aner-
kennung bekommen in ihnen Gestalt.
Im nächsten Lebensrad stürmt, die Speichen tretend, ein jüng-
ling vor, mit Bändern und Federn geschmückt. Seine eine Hand
greift nach einer Herme, die ihm aus dem vorhergehenden Rad
entgegcnstrebt, die andere nach einer nackten, orientalisch ge-
schmückten Frau, die unter ihm glcichmütig dahinschreitet.
Die Hermc - mit aztekischen Gesichtszügen, gekrönt und ver-
schleiert - verkörpert hier das geistige Ideal. Aus einer Seiten-
wunde spritzt ihr Blut und verweist den jüngling auf die Ge-
fahren, die in der Hingabe an das Ideal liegen. Die Frauengestalt
steht für das Irdische, seinen flüchtigen Durchgang und seine
Banalität.
Hinter dem Jüngling schwebt auffahrend die Figur der Weis-
heit, gewappnet und gchörnt, das goldene Vlies an den Lenden.
Sie stützt sich auf den jüngling und hält ihn gleichzeitig zurück,
auf die Unvereinbarkeit seines doppelten Strebens hinweisend.
Hier liegt ein Schwerpunkt des Gobelins, das Dynamische des
Geschehens unterstützend.
Eine farbige abstrakte Öhrform bildet danach eine Zäsur. Tor
und Eingang, lcitct sie zum Schlußteil des Teppichs über. Sie
öffnet sich auf eine Landschaft und das nächste Rad, in dessen
Biegung sich eine schlanke Frauengestalt schmiegt. Ihre Armlo-
sigkeit verkündet Vollendung ohne Tun, Beharren im Sein. Unter
ihr liegt eine zerbrochene, bärtige Männerfigur die ihr opfernd
eine Flamme darbringt: die Flamme des Lebens, der Schöpfung.
Sie stützt sich auf eine Amphora, in der ein blaues Gefäß mit
Trauben angedeutet erscheint. Blut und Wundsekret vermischen
sich mit dem Todcsschweiß der Figur, deuten ein letztes Opfer
als Tribut wirklicher Liebe an. Das Geheimnis des Künstlers,
des schöpferischen Menschen hat hier seine Darstellung ge-
funden.
Zwei heraldische Tiere, die Rücken gegeneinander gekehrt, bil-
den den Absehluß des Gobelins. Sie sollen Unverstand und Klug-
heit verkörpern. Bekriinzt und geschmückt, tragen sie eine Kette
in der die jeweils drei Sigel der Tier-, Pflanzen- und Gesteins-
welt, die Symbole für Glaube, Hoffnung und Liebe dargestellt
sind.
Aber über ihnen erhebt sich in einer goldenen Kuppel und zum
erstenmale im Teppich in konkreter fleischlicher Plastizität, ein
weiblicher Körper. Plastisch und anschaulich entschwebt er in das
Blau des Himmels, als Zeichen der körperlichen Aufnahme, eine
Apotheose die das Leitmotiv noch einmal zusammenfaßt und
verklärt.
Dem Schicksalsratd zu entspringen ist nur durch die Liebe und
die Liebestat des Weibes möglich, das in ihr seine eigentliche Er-
füllung findet." Damit erscheint dieser Gobelin dem Schicksal
und dem .Weibe gewidmet, den Kräften des Lebens, in denen
sich, wie in ihm, das Ende zum Anfang fügt. Tragik und Heiter-
keit verbinden sich in ihm zu einem Sinnbild des Lebens.
Der oberflächliche Betrachter ist vielleicht dazu verführt, weite
Teile des Teppichs als gegenstandslose Kunst zu bezeichnen.
Der grundlegende Unterschied aber gegenüber der zeitgenössi-
schen gegenstandlosen Kunst besteht bei Boeckl darin, daß jede
liarbform einer konkreten Vorstellung geistiger Natur entspricht,
also ihr So-Sein nicht nur dem strukturellen Gefüge allein ver-
dankt. Diese Tatsache ermöglieht, wie in Seckau, die nahtlose
Vereinigung noch naturbezogener Formen und Gestalten mit
dem gegenstandsloscn Formengleichnis, ermöglicht vor allem
auch die Setzung des dreidimensionalen Frauenaktcs mit all
seiner unmittelbaren Gegenwärtigkcit, in seine schwingende Am!
biance ohne daß das Gleichgewicht gestört wird. Die einzelnen
Figuren erscheinen in ihrer Formung leicht in den Raum, der um
sie herum in Kristallisationsflächen der Farbe gebildet wird, auf-
gefächert und heben sich damit von einer rein dekorativen Wir-
kung entschieden ab.
Möglich wurde diese Leistung nur durch eine äußerste Hingabe
des Künstlers, der selbst bei den Webearbeiten noch täglich und
Detail, Abschluß des G0-
belins von Herbert Boeckl.