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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 7 und 8)

en von Tapies, die meisten Arbeiten von Millares wie über-t 
haupt sehr viele der gezeigten Produkte des 'l"achismus erst 1958 
entstanden sind, was, da sie ja schon vor Monaten angemeldet 
werden mußten, eindeutig beweist, daß zu ihrer Herstellung we- 
nig Zeit benötigt wurde, und was zweitens zumindest vermuten 
läßt, dafi viele von ihnen als regelrechte Biennale-Malerei zu 
gelten haben. Und wenn die Güte eines Kunstwerks auch gewiß 
nicht an der Länge der Zeit gemessen werden kann und darf, die 
zu seiner Verwirklichung nötig war, so ist doch die Vorstellung 
von einer Art Fließbandfabriktttion für Ausstcllungszwecke auch 
nicht gerade sehr crhcbend. Es findet hier vielmehr offenkundig 
auf breit-er Bahn ein fast pausenloser, kaum faßbarer, weil wie 
Wasser jedem Widerstand ausweichender und mehr getaner als 
tätiger Relativismus statt, der fast dem Versinken in einem Stru- 
del oder der Auflösung irgendwelcher Stoffe in einem Schmelz- 
prozeß vergleichbar ist. 
In der Tat bestätigen die diesjährigen Biennale-Avantgardisten, 
daß eine große experimentelle Auflösung und Einschmelzung zu- 
mindest der bisherigen malerischen Formvoraussetzungen und 
-gcsetze, ja geradezu des Bildes selber vor sich gehen. DerTachis- 
mus übernimmt dahcr, nur in radikalerer Weise, die Rolle und 
Aufgabe des Impressionismus, eines abstrakten Impressionismus, 
der das ganze Feld der bisherigen abstrakten Formgebarung we- 
niger umzuackern - denn das wäre zu aktiv - als einfach zer- 
fallen zu lassen sich bemüßigt sieht. Radikaler aber ist dieser 
Vorgang insofern, als der frühere Impressionismus nur die reali- 
stische Naturdarstellung zugunsten der flüchtigen subjektiven Ein- 
druckswicdergabe und um der Durchsetzung der aufgedeckten 
Licht-Valcurs willen in Frage stellte, während der heutige, der 
abstrakte Impressionismus, dem also auch die abstrakte Formen- 
welt fragwürdig wurde, das Walen überhaupt nur noch als einen 
völlig bezugslosen Selbstdarstellungsprozeß der malerischen Mit- 
tel gelten lassen zu wollen scheint, als einen Prozeß demnach, 
an dem auch der Maler selber nur noch funktionell-automatisch 
tcilzuhaben berechtigt und verpflichtet ist. Man läßt es darauf 
ankommen, was dabei herauskommt, und je mehr unwillkürliche 
Überraschungen eintreten, desto besser. Malerei als „Naturvor- 
gang", als geradezu zufälliger Impressionsniederscl-ilag, als ein 
nacktes sich Treibenlassen oder höchstens als eine Unterstrei- 
chung, als cinc Betonung des simplen, wenn auch stofflich durch 
möglichst immer neue Verfahren und Mittel erweiterten Ma- 
terial-Geschehens, das sind oder scheinen doch die hauptsächli- 
chen Perspektiven dieses neuen „Avantgardismus" zu sein. 
Seine totale Infragestcllung der bisherigen Kunst in der Malerei 
hat jedoch zweifellos die tiefere Bedeutung einer rücksichtslosen 
Erprobung dieser Kunst, einer „Gewissenserforschung" also, die 
sich mit keinerlei Ausrede auf die „Tradition" oder die „Ästhetik" 
mehr begnügen kann. Wo „tabula rasa" gemacht wird, gibt es 
einzig eine ehrliche Eröffnungsbilanz, die nur noch die Substanz 
und nicht mehr die Gewohnheiten unter die Aktiven reiht. Daß 
eine solche Bilanzeröffnung ein schwieriger Vorgang ist, der vor 
allem Kraft, Redlicbkcit und Mut erfordert, versteht sich wohl 
von selbst, wie auch nicht zu leugnen ist, daß nur wenige diese 
Voraussetzungen erfüllen können. 
Hier nun aber ist der Punkt, an dem die sehr geschickte Kunst- 
politik der orthodoxen ,,Hinter-dem-eisernen-Vorhang"-Mächte 
wie Rußland, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn einsetzt. 
Es wäre müliig anzunehmen, daß es sieh bei deren „sozialisti- 
schcm Realismus" um die Befolgung kunstthcoretischer oder 
ästhetischer Prinzipien handelte, aber es wäre auch zu billig, nur 
Propagandaabsichten vorauszusctzen. Die Tschechen beispiels- 
weise lassen nicht erst heuer von Propagandakunst so gut wie 
nichts bemerken. Wenn jedenfalls Propaganda, dann liegt sie un- 
gleich tiefer als die der bloßen Politik. Dann hakt sie dort ein, 
wo die Schwäche des Menschen und seine oft uneingestandcne 
Angst vor der heutigen Welt beginnen. Wenn sich also jemand, 
um nur von der Kunst zu sprechen, in dem Wirrwarr der Mo- 
derne nicht mehr auskennt und eher an seinem eigenen Ver- 
stand zu zweifeln anfängt, als daß er in der Moderne einen Sinn 
erblickt, dann eben bietet sieh der sozialistische Realismus als 
ein trautes Heim der Leichtvcrständlichkeit für den geplagten 
und bcunruhigten Menschen an, wie letztlich auch die Herr- 
schaft des Kollektivismus für den verlockend wird, der die 
Schwierigkeiten der Freiheit nicht mehr vertragen kann. 
Man kann gewiß über die Grenzen und Nöte des sogenannten 
Massemenschen die Nase rümpfen und zur Tagesordnung über- 
gehen, aber man sollte dann wenigstens die gar nicht einmal so 
ferne Möglichkeit ins Auge fassen, daß auch er cinrnal über die 
Naserümpfcr zur Tagesordnung übergehen könnte. Mit anderen 
Worten: wenn man also schon auf die „Freiheit der künstleri- 
schen Entwicklung" pocht odcr sie doch für sich in Anspruch zu 
nehmen sich berechtigt fühlt, dann kommt es in einer so pre- 
küren Lage wie der der angeblich freien Welt entscheidend dar- 
auf an, Entwicklung und Freiheit auf der einen und die Verant- 
wortung auf der anderen Seite miteinander zu verbinden und zu 
durchdringen, statt munter an dem ohnedis schon nicht mehr 
gerade grünen Aste des Vorzuges einer zumindest äußeren Frei- 
heit herumz gen oder ihn doch durch manchmal nahezu ma- 
kabre Kunststücke der Sclbstentleihung zu erschüttern. Das we- 
nigstens scheint die Lehre zu sein, die man aus dem Vergleich 
zwischen den Darbietungen sowohl der Tachisten als auch vor 
allem im Sowjet-Pztttillon zu ziehen hatte, weil die letzteren mit 
billigem Spott abzutun nicht genügt. Wenn Fuchs und Wolf den 
Dummen spielen. haben sie immer etwas damit vor. 
 
 
Marie. Rolbko. geb. 1903, USA, „Schwarz auf Rot", Öl. - Dieses 
241 cm hohe und 207cm breite Bild zeigt drei verschiedene quer ge- 
lagerte Zonen auf einem roten Grund, Die unterste schmale Zone ist 
nur wie Schatten, der sich über das Rot schiebt; die mittlere ist hell 
und die obere schwarz, und eben in diesen drei Klängen, die alle leicht 
durchscheinend sind. werden gleichsam t rschietlene Phasen und Trü- 
bungszustiinde de. Lichtes oder auch lirhellungsztistiintle des Dun els 
offenbar. Bei längerer Betrachtung dieses und der anderen Bilder 
Rothkos teilt sich dem Betrachter eine gelöste Ruhe mit. 
 
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