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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 9 und 10)

auf dic Analogie mit den fünf Wunden Christi hingewiesen wird), 
gab es auch in Wien ein solches, das jedoch nicht mehr erhalten 
ist. Spätere barocke Nachfolger aus dem 17. Jahrhundert mit 
der Wiedergabe eines niederländischen Bruderschaftsbildes, deren 
Vorläufer Andachtsblätter, wie das vorliegende, gewesen sein 
könnten, sind in Wien und Niederösterreich nachweisbar. Wir 
werden also vielleicht annehmen dürfen, daß Cranach für eine 
Wallfahrt ein solches Andenken geschaffen hat. 
Bleibt noch die farbige Ausmalung des Bildchens zu behandeln. 
Sie wird auf Angaben des Künstlers zurückgehen. Das warme 
Gelb, das dunkle Blau, das Grün der Dornenkrone, das satte Rot 
der Wappenschilde, besonders aber der Dreiklang: Rot-Blau- 
Gelb ist für den jungen (Iranach charakteristisch. Vom ersten 
bekannten Bild (Schottenstift-Kreuzigung) bis zum Porträt des 
Kardinals Albrecht von Brandenburg in Darmstadt von 1525 
kommen diese Farben immer wieder vorherrschend zur An- 
wendung. Obwohl es natürlich gewagt ist, das einfache, hand- 
werksmäßige Kolorit eines Andachtsbildchens mit den Farben 
eines Gemäldes überhaupt nur zu vergleichen, so bleibt die 
Tatsache einer Vorliebe für gewisse Farbklänge beachtenswert, 
ohne daß wir ihr allerdings große Bedeutung zumessen wollen. 
Es gibt wenige berühmte Künstler vom Range Lucas Cranachs, 
über deren Jugendwerke man schlechter unterrichtet wäre. 1472 
im oberfrankischen Kronach als Sohn eines Malers namens Hans 
geboren (von dem überhaupt kein sicheres Werk belegbar ist), 
tritt Lucas erst kurz nach 1500, anlüßlieh einer Reise nach 
Wien, mit signierten bzw. datierten Werken ins Licht der Ge- 
schichte. Merkwürdig spät, also, ein fertiger Meister. Er soll 
bis etwa 1498 im Heimatort nachweisbar sein, der nahe an der 
Grenze von Sachsen liegt, wohin er auch dann 1505 als Hof- 
maler berufen wird. Die Entdeckung seiner Wiener Jahre ist 
erst eine Leistung unseres Jahrhunderts. Mit ihr wurde ein ganz 
neuer Cranach bekannt, der genialisch-ungestüm, voll wilder 
Drastik, zusammen mit Jörg Breu, Rueland Frueauf u. a., auf 
fremdem Boden, die sogenannte „Donau-Schule" begründet. Er 
muß die großen Altarbilder der bayerischen Schule, eines Jan 
Polak, Mälesskircher, aber auch die Werke des Kreises um Mich. 
Pacher, also z. B. Marx Reichlich, gekannt haben. 
O. Benesch (Bcitr. z. Gesch. d. deutschen Kunst II, 1928, 229 ff.) 
hat gezeigt, wie man sich das künstlerische Leben in Niederöster- 
reich um diese Zeit etwa vorzustellen hätte: neben dem über- 
ragenden Lucas Cranach arbeitet der etwa acht Jahre jüngere 
Jörg Breu aus Augsburg; er malt große Altarwerke (Zwcttl, 
Herzogenburg, Melk, zwischen 1500-02); aber auch ein Kanon- 
Holzschnitt von 1502 und zwei weitere für ein Missale, das 1504 
in Augsburg erschien (wobei auf eine etwa ein bis zwei Jahre 
frühere Entstehung gedacht werden kann), können Breu mit 
Sicherheit zugewiesen werden. Diese Schnitte zeigen den Einfluß 
des schon im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts für die 
Offizin Radolt tätigen Hans Burgkmair. Schlanke, spröde Ge- 
stalten „in düsterer Dramatik", die aber recht entfernt von der 
wilden und massiveren, großartigen-n Art des oberfränkischcn 
Cranach sind. 
„Mir scheint, daß gerade die zeitweilige Freiheit von dem Druck 
der spatgotischen Tradition, die Unabhängigkeit von den starren, 
oft retardierenden Satzungen der Zunft - vermutlich haben 
Breu und Cranach als freie. unzünftige Wandermaler gearbeitet 
- ferner die Möglichkeit, auf eigene Faust umfängliche Aufträge 
bewältigen zu können _ daß gerade diese günstigen, einer tat- 
hungrigen Jugend Bewährung und Entfaltung ermöglichenden 
Umstände die äußeren Voraussetzungen für die Leistungen der 
wandernden Maler gebildet haben. Schon die Tatsache, daß die 
Ausführung von umfänglichen Altztrmalereien (Brcu) und Bild- 
nissen hochgestcllter Persönlichkeiten (Cranach) an von auswärts 
stammende Künstler vergeben wurde, spricht dafür, daß es im 
eigenen Gebiete an geeigneten Kräften mangelte" (Buehncr, 
I. c. S. 274). 
Man nimmt heute an, daß Österreich in der 1. Hälfte des 
16 
15. Jahrhunderts eine reiche Tätigkeit auf dem Gebiete des frü- 
hesten Holzschnittcs entfaltete, vor allem in Salzburg und Böh- 
men, aber auch in Niederösterreich. Doch scheint ein starkes 
Nachlassen dieses Aufschwunges für die 2. Jahrhunderhälfte 
ebenso sicher zu sein. Zögernd wird die Neuerung des Buchdruk- 
kes aufgenommen, und erst in jenem Schicksalsjahrc 1502 er- 
scheint auch das erste umfangreichere und bedeutendere Holz- 
schnittbuch, die Beschreibung des Wiener „Heiltums", eine Schil- 
derung der Reliquien- und Kirchenschätze von St. Stephan, also 
so etwas wie ein Vorläufer der Museumskataloge. H. Gollob, 
„Der Wiener Holzschnitt von 1490 bis 1550", bespricht das Büch- 
lein ausführlich in zwei Kapiteln und bildet alle großen Schnitte 
ab. Sie sind angeblich von drei verschiedenen Händen, aber Erich 
Wagner („Cranach und derWienCr Holzschnitt", Mitteilungen der 
Gesellschaft für vcrvielfältigcnde Kunst, Beilage der „Graphi- 
schen Künste", Jahrgang 1927, Seite 56 ff.) hat überzeugend 
nachgewiesen, daß diese Annahme kaum stimmen kann und 
daß auch Cranach nichts mit der Illustration dieses Werkes zu 
tun hatte. Aber sein Drucker, Joh. Winterburger, d. h. Wiens 
bedeutendste Offizin in der Frühzeit, brachte kurz darauf (1503) 
ein Missale Pataviense heraus, dessen Schnitte sicher von Cra- 
nach entworfen wurden. Dodgson hat zuerst eine ausführliche 
Beschreibung gegeben. Die Hauptblätter, der eingangs erwähnte 
Stephan und eine großartige Kanon-Kreuzigung, von der in 
Dresden als Unicum eine frühere Fassung existiert, sind sicher 
vom Künstler unserer Sehmerzensmutter gezeichnet, vielleicht 
aber sogar geschnitten worden, denn die Schnittausführung fast 
aller dieser großen Blätter weist, mit wenigen Ausnahmen, einen 
gewissen Mangel an Routine auf, über die gewerbsmäßige Form- 
schneidcr auch damals schon verfügten. Trotzdem zeigen sie 
alle eine Vertrautheit mit der Wirkung des Materials, die die 
Vermutung vielleicht nicht ganz abwegig macht, ob Cranach 
vielleicht in seiner Jugendzeit auch Schnitzer war. Die plastische 
Fülle der ersten graphischen Werke unterstützt diese, unseres 
Wissens noch nicht vorgeschlagene Hypothese, Denn: was hat 
Cranach vor seinem 28. bis 30. Jahre getan? Seine Grabschrift 
bezeichnet ihn als „Pictor celcrrimus", also als einen sehr rasch 
arbeitenden Künstler, wofür ja auch die fast unübersehbare Pro- 
duktion in den unmittelbar folgenden Wittenberger Jahren 
spricht. War er etwa als Glasmaler tätig? Hier könnte die Sel- 
tcnheit des Erhaltencn ins Feld geführt werden. 
Es gibt auch noch eine andere Hypothese, die sich mit der Jugend 
des Künstlers befaßt. Er bzw. sein Vater werden hinter dem 
Monogrammisten LCz vermutet. Eine der letzten der uns vor- 
liegenden Arbeiten über die Frühzeit Cranachs (Eberhard 
Schenk-Gotha, „Der Meister LCz", Zeitschrift für Kunst, 1. Jahr- 
gang 1947, Heft 4, Seite 26) nimmt die Identifizierung mit dem 
Monogrammisten LCz neuerdings in Angriff, die allerdings von 
Lehrs zwischen 1888 und 1927 verschiedentlich ausführlich be- 
handelt und abgelehnt worden ist, zuletzt in seiner „Geschichte 
und kritischer Katalog" VI, 1927, Seite 314ff. Lehrs sieht in 
jenem Monogrammisten LCz von 1492 bzw. 1497 zwar einen der 
„hervorragendsten Kupferstccher seiner Zeit", stellt ihn sogar 
neben den Hausbuchmeister, ist aber davon überzeugt, daß er 
ein „zünftiger Goldschmied" war, der vielleicht aus der ober- 
fränkischen Heimat Cranachs stammt. Ob aber etwa Cranach 
bei ihm gearbeitet hat, wird nirgends in Betracht gezogen. Rät- 
selhaft bleibt ja nach wie vor, daß erst sichere Arbeiten des 
30jährigen aufgefunden werden konnten, denn auch ein Berufs- 
Wechsel ist in jenen Zeiten strengster Zunftordnungen kaum 
wahrscheinlich. 
So kann man abschließend wohl nur das Auftauchen eines Blattes 
aus dem engsten Umkreis des ungestümen, genialen Künstlers be- 
grüßen. das vielleicht vor allem Bekannten seiner Hand entstan- 
den ist. In der spätgotischen Tradition verhaftet, zeigt es in Form 
und Einzelheiten jenen ungemeinen Mut zur Drastik, zu einem 
rücksichtslosen Naturalismus, der auch in der Gottesmutter nur 
eine einfache, derbe, alternde Magd gesehen und dargestellt hat.
	        
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