tige Entwicklung von Staaten und Völkern beeinflussen mag,
erhält in den Augen des Kaisers doch erst seine allgemeine Be-
deutung durch die Beziehung, die es zu diesen Fragen besitzt.
Vicle Widersprüche im Leben und Handeln Karls V. lösen sich
unschwer auf in dieser Beziehung zum Ganzen eines integralen
christlichen Bewußtseins.
Die Kaiseridee, wie wir sie eben noch bei Karl V. verwirklicht
sehen, reicht ins Metaphysische und abstrahiert vielfach von
der Realität konkreter Erscheinungen. In dem sich stürmisch
entwickelnden System staatlicher individueller Gebilde auf
nationaler Grundlage findet sie kaum mehr einen anerkannten
Platz. Wenn selbst die universale Autorität der Kirche um-
stritten ist, wie könnte dann das universale Kaisertum anerkannt
werden! In allen sich immer mehr vertiefenden Gegensätzen
bleibt aber doch die Einheit des christlichen Bewußtseins ge-
wahrt. Es gibt noch kein „Europa". Es gibt nur die „res publica
christiana". Noch in den Verhandlungen des Westphälischen
Friedens, hundert; Jahre später, wird in kritischen Momenten
nicht an Europa, sondern an die Einheit christlicher Gemein-
schaft appelliert. Deshalb behält auch das Kaisertum seine uni-
versale Würde und seine moralische Autorität: denn immer
noch repräsentiert sie eine ideale Grüße, die Idee einer verloren-
gegangenen Einheit und einer Friedensordnung im universalen
Bereich christlicher Gemeinschaft.
Um Karl V. erheben sich die nationalen Staaten, erhebt sich der
Individualismus religiösen Denkens und subjektiver religiöser
Erfahrung. Er steht mitten in dem Widerstreit gärender Kräfte,
die zum Durchbruch drängen. Sie branden heran und brechen
sich an seinem festen Glauben an eine „göttliche Weltordnung
mit Kaisertum und Papsttum je in ihrer Sphäre, beide voll
höchster Verantwortung gegenüber der gesamten Christenheit".
Brandi, den ich mit den letzten Worten zitierte, schließt seine
berühmte Biographie des Kaisers mit den Worten: „Nach dem
Maß seiner Kräfte, aber mit vollkommener Hingcbung hatte
dieser Mann im Sinne solcher Ideen seinen Lebensweg voll-
führt - immer cin Mensch und im täglichen Leben gebrechlich
und schwach in Neigungen und Eigenwilligkeiten, aber in den
bleibenden Zügen seines Wollens, in der Tapferkeit seiner Hal-
tung doch zur historischen Figur geworden."
Peter Rassow, dem wir viel Einsicht in das Wesen der Aus-
einandersetzungen dieser Zeit danken, beendet seine jüngste
zusammenfassende Studie über den „letzten Kaiser des Mittel-
alters" mit den Worten: „Ein Mann hatte seine Bahn vollendet,
der, ausgerüstet mit seltener Intelligenz, Willenskraft und Hart-
näckigkeit, alle seine Kräfte in den Dienst einer Idee gestellt
hatte, die nicht mehr die Idee seiner Zeit war. Ein Herrscher,
durchglüht von christlicher Frömmigkeit und dem Pflichtgcfühl
der Christenheit gegenüber, dem eine Macht zugeiallen war,
wie seit Karl dem Großen keinem vor ihm - doch sich selbst
zur Machtlosigkeit verurteilend, weil er seiner Idee treu bleiben
wollte." Und der Amerikaner Royall Tyler, der bisher letzte
seiner Biographen, beendet sein Werk über Karl V., das zugleich
das letzte seines Lebens war, mit den Worten: „Er war ein
Mann, der seine Pflicht gemäß seiner Einsicht tat, der hart
arbeitete und zu sich selbst härter war als zu anderen. Blicken
wir in seine Augen in Tizians Porträt von ihm in München, und
dieser Blick wird uns sagen, was Quijada, der mit ihm 30 Jahre
lebte, in den letzten Worten seines Berichtes über Karls letzte
Augenblicke ausdrücken will: „So endete der größte Edelmann,
der je lebte oder jemals leben wird."
KARL V. UND ÖSTERREICH
Von ALPHONS LHOTSKY
Zu den quälenden Sorgen des schon seit langer Zeit auch kör-
perlich leidenden Kaisers Maximilian I. gehörte die Regelung
der Frage seiner Nachfolge vor allem im Kaisertum. Um 1516[17
hatte er allen Ernstes daran gedacht, diese Last keinem seiner
Nachkommen, sondern König Heinrich VIII. von England auf-
zuhürden, und er hat ihm Zusagen gemacht, die zwar noch keine
Rechte begründeten, heim künftigen Wahlkampfe aber unter
Umständen doch ins Gewicht fallen konnten.
Um diese Zeit hat sein älterer Enkel Karl die Nachfolge seines
anderen Großvaters als König von Spanien angetreten. Seine
Herrschaft stand dort anfänglich auf einigermaßen schwachen
Füßen - der junge Mann war in den Niederlanden erzogen
worden, verstand die spanische Sprache noch nicht, galt daher
vielen für einen Fremden und es gab eine Partei, die lieber
seinen in Spanien aufgewaehsenen Bruder Ferdinand als Herra
scher begrüßt haben würde, was übrigens auch der Wunsch des
heimgegangenen Königs Ferdinand von Aragdn gewesen War.
Als nun Karl, der schon in der spanischen Sukzessionsfrage dem
Bruder gegenüber höchst energisch sein Erstgeburtsrecht betont
hatte, von den Plänen Kaiser Maximilians erfuhr, das Kaiser-
tum aufzugeben, gericten er und seine Umgebung sichtlich
außer sich und sofort wurde dagegen Protest erhoben. Mit Er-
folg; es gelang Karl, den bekanntlich nie sehr beständigen Ma-
ximilian umzustimmen, so daß dieser seit Ende des Jahres 1517
nur noch für die Kandidatur seines Enkels eintrat, freilich ohne
sicheren Erfolg.
Wenn man weiß, wie stark Maximilian zeitlebens gerade die
Kaiserwürde als providentielle Auszeichnung seines Geschlech-
tes aufgcfaßt hatte, wie er seine genealogisch-literarische und
künstlerische Propaganda - man denke nur an Dürers „Ehren-
pforte" - gerade darauf pointierte, so wird seine Absicht, auf
diese Krone zu verzichten, verwunderlich, fast unglaubwürdig
erscheinen. In die wahren Beweggründe sieht man nicht hinein.
Erkannte er damals, daß seine und selbst Karls Machtgrundlagen
für eine wirkliche Kaiserpolitik zu schwach waren? Befürchtete
er im Falle offener Aspiration seines Enkels auf die deutsche
Krone, mit der der Kaisertitel verbunden war, Gegenaktionen
Frankreichs, das sich der drohenden Umklammerung am Rhein
und an der Pyrenäenfront erwehren mußte? Sah er voraus, daß
auch der Papst einen Spanier nicht zum Kaiser haben wollte,
weil ihn ein solcher von Unteritalien her bedrohen konnte? Oder
glaubte er etwa, vermöge des 1515 begründeten Bundes mit den
jagellonen künftige Aufgaben eher im Osten als im Westen
sehen zu sollen?
Wir wissen es nicht. Wir sehen nur, daß in ihm der Appell
Karls an das dynastische Interesse und das Familiengefühl eine
rasche Willensänderung bewirkte, die alsbald zu höchst kom-
plizierten Verhandlungen mit den deutschen Fürsten im Ver-
laufe des ganzen Jahres 1518 führten. Der Reichstag von Augs-
burg im Sommer brachte keine Klärung. Da Maximilian ,nur
den Titel eines „Ei-wählten Kaisers" führte und nicht rite in
Rom gekrönt worden war, weigerten sich die deutschen Herren,
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