sehen, stark im Vordergrund die Michaelerkirche, deren Turm
neben dem Stephansturm am deutlichsten ausgeführt ist. Be-
merkenswerterweise zeigt der Michaelerturm bereits klar seine
im Jahre 1590 geschaffene spitzige Gestalt (von heute), wäh-
rend er auf allen früheren Ansichten noch den alten knorren-
gezierten Steinhelm trägt. Gleich wichtig für die Festlegung der
Entstchungszeit der Zeichnung wie dieses Baudatum sind zlie
Daten der benachbarten Bauten. Wir erblicken die Amalienburg
(früher Cillierhoi) mit ihrem eigenartigen, mächtigen Uhrturm,
dessen Existenz für 1601l1602 bezeugt ist. Die Skizze des Uhr-
turms mit dem Dach erscheint auf der Rückseite des Blattes am
unteren Rand im Umrill. aber sehr deutlich wiederholt. (Der
Neubau der Amalienhurg an Stelle des Cillierhoies dauerte von
1575 bis 1611.) Neben dem Turm des Dorotheerklosters (heute
Dorothecrgasse 17) ist der Turm des gegenüber gelegenen Nona
nenklosters zur hl. Maria, Königin der Engel, sichtbar, dessen
Kirche 1582 1583 erbaut wurde. (Der Komplex des Königinklo-
sters, heute Dorotheergasse 18, erstreckte sich bis zur Stallburg.
Auf seinem Terrain steht jetzt u. a. das Palais Fries-Pallavicini,
joseisplatz 5.)
Die angeführten Daten erhellen, daß die Zeichnung um 1600
entstanden Sein rnuß. Das Blatt überliefert damit auch die irü!
hesten, wenigstens andeutungsweisen Darstellungen des neuen
Turmhclms von St. Michael, des alten Uhrturms der Amalieit-
burg und des Königinklosters. Denn erst die graphischen An-
sichten des 17. jhs. nehmen diese Bausituzitinnen im Stadt-
hild auf.
Wieder weiter östlich ist die Anlage der Burg mit ihren Tür-
men eingefügt. Die Türme sind schematisch angeordnet und
geben uns keinen Begriff vom Bau der Burg. Hingegen erhält
man aus dem Umriß auf der Rückseite des Blattes (neben dem
Umriß des Uhrturms an den Rand gezeichnet) ein gewisses Bild
von der Anordnung der Türme um den Burgbau. Den Abschluß
des Stadtprofils im Osten bildet die langgestreckte, turmlose
Augustinerkirche und der deutlich gezeichnete Turm der Or-
denskirche der Johanniter (Malteserkirche in der Kärntner-
straße). Als charakteristisch für die Auffassung unseres Zeich-
ners hat ein besonders ausgeführter Teil der Stadtbefestigung
zu gelten, der seinem künstlerischen Auge offenbar auffiel. Vor
der Burg - zwischen Amalienburg und Augustincrkirche - ist
die Stadtmauer sichtbar, mit großen Schießscharten und einer
Dachbedeckung, unter der die Streichwehr vermutet werden
kann. Diese Darstellung ist sicher unrealistisch, aber ausgespco-
chen malerisch und vermittelt ungemein lebendig den mittel-
alterlichen Eindruck, den das Wiener Stadtbild zu jener Zeit
noch machte.
Die Seitenverkehrung der Skizze läßt an eine Vorzeichnung
für den Holzschnitt denken. Unter den Wiener Holzschnitten ist
die Ausführung nicht zu finden. Möglicherweise gibt es sie über-
haupt nicht, weil diese künstlerische Zeichnung den Erforder-
nissen der graphischen Ansicht um die jahrhundertwende nicht
Rechnung trägt. Die Betonung der vervielfältigten Ansicht lag
bereits im Aufzeigen der Fortifikation, auf der Darstellung der
neuen Festung Wien. Nicht künstlerische Betrachtung, sondern
eingehende, möglichst geometrische Aufnahme des Stadtbildes
forderte die Zeit vom graphischen Blatt - der Kupferstich
übernimmt hiebei die Führung -, das Ortskenntnis verbreiten
sollte.
HIERONYMUS LÖSCHENKOHL ALS MINIATURMALER
Von P li
[ER POTSCHNliR
Den Liebhabern kolorierter Wiener Kuplerstiehe ist Johann
Hieronymus Löschenkohl (1753-1807) seit den Tagen der ge-
lehrten Viennensia-Sammler kein Fremder. Freilich verbindet
sich mit dem Namen nicht so sehr die Vorstellung eines Künst-
lers als vielmehr die eines rührigen Verlegers kurioser Blätter,
eines „industriösen" Tausendsassa, des „fixlingerigen Fabrikan-
ten exekrablet" bemalter Zeitbilder" und „ikonographischen Zei-
tungsmannes" des josephinisehen Wien - alles Geistesblitze
Gräffers, die seither x-iach gedankenlos nachgebetetworden sind.
Eine ausgeprägt eigenartige Künstlerpersönliehkeit drohte in
Geplapper unterzugehen. Die kommende große Löschenkohl-
Ausstellung im neuen Hause des Historischen Museums der
Stadt Wien wird erstmals vollen Überblick und damit Einblick
in das Werk des aus Elherleld um 1780 zugewanderten Künstlers
geben, der in einem nicht allzulangen, unerhört produk-
tiven Leben mit der zur Heimat erwählten Stadt so sehr
verwachsen ist, daß wir ihn unbedenklich zu den Unsern zäh_
len dürfen.
Unter einer erstaunlichen Fülle meisterhaft kolorierter Kupfer-
stiche wird den Besuchern der kommenden Ausstellung sicher!
lieh ein in Gouachefarben miniaturartig ausgefiihrtes Gruppen-
bild auffallen. Dieses Bildchen war bereits in der Wiener
Miniaturenausstellung von 1905 als Leihgabe des damaligen Be-
silZCrS Dr. August Heymann zu sehen. Der Ausstellungskatalng
lührt es unter Nr. 165i) an, jedoch ohne Angabe eines Künstlers.
t923'ist die Gouache mit anderen Naehlaßheständen Heymanns
an das Historische Museum gekommen und wurde dort - ellen-
bar aul Grund späterer Notizen Dr. Heymanns - als
mutmaßliches Werk Löschenkohls inventarisiert; daß dem in-
teressanten Problem seither nicht nachgegangen worden ist,
darl bei der Fülle ungelöster Fragen, die mit den reichen
Beständen des Historischen Museums verbunden sind, nicht
wunder nehmen.
Bestimmen wir vorerst die historischen Begebenheiten:
Die Königin von Neapel war in Wien mit ihren drei noch un-
verheirateten Töchtern und dem kleinen Prinzen von Salerno
von August 1800 bis juli 1802 zu Gast, sie verbrachte ihre
Zeit hauptsächlich damit, die Töchter an den Mann zu bringen.
(Ein früherer und der spätere, letzte Besuch kommen nach allen
Umständen hier nicht in Frage.) Die Anwesenheit Marie
Karolines legt die Szene zeitlich lest, was die Bestimmung der
dargestellten Kinder ermöglicht: es kann sich danach nur um die
1791 geborene Marie Louise, den 1793 geborenen Kronprinzen
Ferdinand und die 1797 geborene Leopoldine handeln.
Die Darstellung wirkt wie eine unmittelbare Wiedergabe der
sehr privaten Szene, ohne jede höfischc, renräsentative, zere-
monielle Geste. Alles erscheint wirklich: die verdrießliehe Miene
des Kaisers (der die Schwiegermutter nicht leiden konnte); das
versorgte Antlitz der Königin (deren Pläne nicht gerieten, wie
sie wollte); die Naivität der kleinen Kinder und die Keck-
heit der „Große-n", die die unziemliche Puppe hinter dem
Rücken verbirgt. Und doch wird man sich der Erkenntnis nicht
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