DIE FASZINATIONSKRAFT FREMDER WELTEN
ZU DEN BILDERN ROBERT DOXATS
Von KRISTIAN SOTRIFFER
Als einer der eindrucksvollsten und originellsten Mitarbeiter
an den in Istanbul aufbewahrten "Alben des llrobere " aus
dem 15. Jahrhundert schalte sich vor noch nicht langer Zeit ein
Künstler heraus, dessen Name Mehmet Siyah Kalem. auf
deutsch: Schwarze Feder ist. Man weiß von ihm so put wie
nichts, leitet aber aus seinen Darstellungen Aufenthalte bei
Nomadenstiimmen Zentralasiens und die Kenntnis chinesischer
Graphik ab; außerdem nimmt man an, daß er auch mit anderen
Kulturkreisen, besonders mit solchen des Abendlandes, in Be-
rührung gekommen ist. 'l'i'ulz des Assimilierens verschiedener
Einflüsse erweist er sieh letztlich jedoch als ein frei und tinah-
ltiingig sehaffender, mit unverkennbar eigenen Stilmerkmnlen
versehener Künstler.
In Wien gibt es einen jungen, erst in diesem Jahr in der (Jalerit-
liuehs in Erscheinung getretenen Künstler, der nicht nur, was
seinen Habitus betrifft, ostasiatische Vorstellungen von veiv
klärter Ruhe und Meditation in einem wachruft, sondern der
sich auch in der Thematik oder besser: dem Stil seiner Blätter
im asiatisch-mythischen, exotischen angesiedelt hat. Nicht nur
die Gesichter, Leiber, phantastischen Aufbauten und Land-
schaftshintergründe, die er mit penibler Genauigkeit entwirft,
die skurrilen Mischgebilde aus Mensch und Tier weisen Par-
allelen zu den Arbeiten Mehmet Siyah Kalems auf; Doxat hat
auch die Art, seine von überall hergeholten Einflüsse und Ein-
drücke in durchaus eigenen Schöpfungen zu absorbieren und zu
amalgamisicren, mit jenem frühen Kollegen gemeinsam.
Die Entdeckung einer Verwandtschaft zwischen Robert Doxat
mit der „Schwarzen Feder" wurde ganz zufällig gemacht, und
Doxat wird von der Existenz dieses Mannes und seiner Kunst
wahrscheinlich nichts wissen, obwohl er sich in allem sehr gut
auskennt, was von morgcnländisch-fremdartigem Charakter ist.
Aber der Vergleich beweist über diesen Zufall und die ins Auge
springende Verwandtschaft hinaus, daß es zu allen Zeiten Künst-
ler gab, die in ihren Werken gleichsam das Fazit aus mehreren
Ausdrucksmöglichkeiten gezogen haben, um trotzdem eine
völlig eigene und neue Sprache herauszudestillieren und zum
Sichtbarmachen neuer Wirklichkeiten vorzudringen. Doxat ist
noch nicht so weit, daß man schon absehen kann, wohin ihn
seine Ideen, die ihm aus allen Kultur- und Kunstepochcn in
reichem Maß zufließen und die er in eindrucksvolle Arbeiten
umsetzt, führen werden. Aber seine Blätter sind durchaus origi-
nelle, sehr eigenartige und faszinierende Produkte, die ihren
Reichtum an Geschehen, an Assoziationen aller Art, an Dra-
matik und innerer Spannung vor allem auch einem sehr müh-
seligen und geduldigen Arbeitsprozeß verdanken. Der für sur-
realistische Malerei aufgestellten Regel folgend, nach welcher
der Künstler nur Registrierapparat ist, dessen aktive Rolle
seinen Stillstand herbeirufen würde, beginnt Doxat eine neue
Arbeit ohne irgendeine Art von Konzeption an einer beliebigen
Stelle, um dann an den ersten gezeichneten Figuren oder
Formelcmenten systematisch weiterzuarbeiten und sie in ein
Liniengespinst einzuhüllen, ein quellcndes, abwechslungsreiches
und skurilles Gemengsel, das beim fertigen Blatt selbst nach
längerem Betrachten nicht ausgeschöpft werden kann. Erstaun-
lich ist dabei, daß die meisten Blätter trotzdem eine geschlos-
sene, übersichtliche Gliederung besitzen, die besonders bei sol-
chen klar hervortritt, in denen sich das Figurengewebe um
einen festen großflächigen Punkt - meistens ist es ein monu-
mental hervortretendes Gesicht - rankt. Tanzende, derwisch-
artige menschliche Gebilde, Fratzen, Trolle und drologdyten-
artige Aufbauten verbinden sich, oft mit sehr wirkungsvollen
farbigen Füllseln durchsetzt, zu spukhaften, dämonischen Bild-
komplexen. Gewisse Schemen der Bildgestaltung schälen sich
heraus, aber auch bestimmte Perioden, deren letzte naturgemäß
die entwickeltste, fortgeschrittenste ist.
Doxats Entwicklung läuft, in seinen frühen Zeichnungen beein-
flußt von Callot, Goya, Dore, Klee, Kubin u. a., über ein nach-
cmpfundencs, höchst eigenartig verwandeltes Mittelalter, dem
sich schon Elemente orientalischer Kunst zugescllen, bis zu
indisch-chinesischen, mit Elementen tibetischer, mittelamerika-
nischer (präkolumbianischcr), aber auch europäischer Kunst an-
gereicherten und durchsetzten Arbeiten, die von immenser Ge-
duld und hingebungsvoller Lust am Detail zeugen. In sich
kann man diese Arbeiten, in denen sich manchmal verschiedene
Slilperioden mischen, in feierlich-hieratische und in zerbrochene
Systeme gliedern.
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