IN MODO AUSTRIACO
ZUM TODE ALFRED KUBINS
IN MODO AUSTRIACO
ZUM TODE ALFRED KUBINS
Der Tod des dreiundaehtzigiiihrigen Kubin hat eine Flut von
ausführlichen Nachrufen hervorgerufen. und man kann mit
einiger Sicherheit sagen, daß auch dieser hier nicht der letzte
sein wird. Denn wenn es einem österreichischen Künstler zu
unserer und seiner Lebzeit vergönnt war, populär zu sein, dann
war es Kubin.
I)as ist. auf den ersten Blick wenigstens, nicht ganz leicht ver-
ständlich, denn die Zeichnungen dieses einzigartigen Künst .:
weisen doch alle jene Zügc auf, die der zeitgenössischen Kunst
von den Nichts- und Zuvielwissern angekreidet wurden und
werden. Sie sind nicht schön im eingängigen Sinn des Wortes,
ja, sie sind mit ihren struppigcn Liniengewirren viel öfter aus-
drücklich hätilieh, stellen samt und sonders durchaus unheim-
liche und ungute Dinge dar, können also keinesfalls zu Zwecken
seelischer oder moralischer Erquickung verwendet werden, und
wenn sie eine über den Bildrand hinausgehende Aussage treffen,
dann bezieht sie sich gleichfalls nicht auf die höheren, sondern
auf die tieferen Gegenstände der Menschheit, auf Tod, Not und
Zerfall. Andere Künstler, Kokoschka zum Beispiel, sind auf
Grund weit weniger Indizien in die Verbannung geschickt oder
auch, wie Schiele, hingerichtet worden. Kubin, ein außergexxtöhn-
licher Fall in unserem Lande, ist hingegen auf Grund all dieser
Indizien volkstümlich geworden.
So volkstümlich, daß sogar die österreichische Wochenschau, die
als Massenkommunikationsmittel sonst Leichcnfeierlichkeiten
eher abhold ist, dem toten Kubin einen ausführlichen Nachruf
widmete. Sie löste dieses für sie einigermaßen extravagante
Problem derart, dall sie in eine ausführliche Reportage des Be-
griibnisses Aufnahmen von Kubinzeichnungen einschnitt, wie sie
sich im Archiv eben fanden - einer llalbtotalc des Schärdinger
Lciehenzttges folgte ein Ausschnitt aus einem Totentanzbltttt,
einer gefilmten Zwickledter Landschaft eine gezeichnete und so
fort. Diese etwas grobe. immerhin aber anspruchsvolle Schnitt-
montage verfehlte ungeachtet ihres Mangels an Wochenschau-
gemiißer Gedankenschlichtheit im Publikum ihre Wirkung nicht,
fitnd sogar dessen einhellige Zustimmung, und brachte schließ-
lich ungewollt eine bedeutsame Erkenntnis: daß nämlich die
Kunst des großen alten Zauberers sehr viel welt- und wirklich-
keitsnäher war, als man es im Interesse der Wirklichkeit eigent-
lich gerne zugehen möchte. Kubin hat seine Figuren, Land-
schaften und (Üiespenster nicht erfunden, er hat sie gefunden, in
sich, vor sich und in aller Realität. Seine 'I'raumstadt Perle liegt
eine halbe Stunde von Zwickledt entfernt und heißt Passau;
Urwälder und lVlorastc fand er in der Wildnis und in dem komi-
schen kleinen Teich seines Gartens, verlassene Mühlen und
windsehiefe lcliiuser gibt's bei Zwickledt genug. lir bedurfte nicht
der Phantasie, um sein so sehr umfangreiches Oeuvre zu ver-
fassen, es waren vielmehr Wahrheitsliebe und eine freilich
geniale Beobachtungsgabe, die ihm die Feder führten, so phan-
tastisch die Resultate ihrer Bemühung auch immer gewesen sein
mögen. Darum eben bedarf es auch keiner besonderen Anstren-
gung, keiner intellektuell oder ästhetisch nachschöpferischen
Leistung. um seine Zeichnungen zu verstehen - es genügt dazu
dieselbe naive Anschauung, die man etwa der (Jeriehtssaalrtilirik
einer Nachmittagszeitung widmet. (Daß die naive Anschauung
nur einen Bruchteil vom Wesen dieser Kunst erfaßt, versteht
sich von selbst.)
(Jleichwohl ist auch daraus noch nicht Kubins außerordentliche
Volkstümlichkeit zu verstehen. Man muß zu ihrer Erklärung
vielmehr ein anderes Charakteristikum seiner Blätter anführen
- und zwar das ihrer Gemütlichkeit. Ich weiß wohl, dafS dies
s
ein sehr zweifelhaftes Wort für eine mindestens ebenso zweifel-
hafte menschliche Verhaltensweise ist. L'nd dennoch trifft es
auf die Kubinschc Bilderwclt zu wie kein anderes. ja, diese,
Welt ist trotz aller Schrecknisse und trotz ihrer Zerfallenheit
gemütlich, ist sogar behaglich, in aller Unheimlichkeit heimelig
- keiner, der die Stadt Perle betritt, denkt daran, sie zu ver-
lassen. (Die Lektüre dieses großartigen Kubin-Romanes sei drin-
gend empfohlen; er ist der österreichische Schlüsselroman
schlechthin.)
Eben dieses Behagen am Ungemütlichen, diese Geborgenhcit im
Gespenstischen aber scheint im österreichischen, insbesondere
aber im wienerischcn Publikum auf inniges Verständnis zu
stoßen. lirci nach Ncstroy liegt im Wesen des Wieners der llarm
gleich unter der Decke der Gemütlichkeit, aber dieses XVort ist
umkehrbar: über und im llarm liegt auch Gemütlichkeit. lis gibt
nicht eine einzige Biographie eines halbwegs namhaften Östew
reichers, durch die unsere Behauptung nicht eine erschreckend
schlagende Bestätigung fände -- so wie es kein noch so banales
Wiener lleurigenlied gibt, in dem nicht auf oft bizarr unver-
mittcltc Art des unausweichlichen Todes gedacht würde.
„...geht die Welt gleich morgen unter, sowas kann uns net
schenienn", denn man kann es sich bis dahin ja noch gemütlich
machen. Womit errang sich der Wiener Lokalgenius den Rang
eines solchen? Durch ein am Rande der Pestgrube verfaßtes
Lied auf den Weltuntergang, das jedoch im Walzertakt ge-
sungen werden muß.
jedes Volk hat das Bedürfnis, seine ihm eigentümliche Dämonie
formuliert und dargestellt zu sehen. Kubin hat das für das
Österreichische getan. Darum ist er in Österreich volkstümlich
- so volkstümlich, daß selbst die Wochenschau sein Begräbnis
filmte,
Von JÖRG MAUTIIE
Aus der IV. Deutschen Kunst- und Antiquitäten-
messe München 1959, im Haus der Kunst
Albert Guyp, monogr. und datiert 16W.
Leinwand, 108 X 82 cm.
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