ZUM
WERK
RUDOLF
HOFLEHNERS
Von WERNER
HOFMANN
„Aller mag wirren in Regung:
Ich bin unerxchütlvrlicl; in
Meiner Einfalt ]enseit.t.
Denn Einzellern Einfaltigleeit,
Allumfassend, irt Unregbarkeit."
(Lao-Tse.)
i.
Auf der diesjährigen Biennale von Sao Paulo ist Rudolf Hof-
lchner mit 14 Werken vertreten. Gleichzeitig beteiligt er sich
an der „Documenta" in Kassel und an der Antwerpener Plastik-
Biennale. Im Vorjahr konnte man seinen überlebensgroßen
„Schreitenden" (der später vom Unterrichtsministerium erwor-
ben wurde) im österreichischen Pavillon der Brüsseler Welt-
ausstellung sehen. Wer die Entwicklung kennt, die Hoflehner
in den letzten Jahren durchschritten hat, ist versucht, von einem
glücklichen Zusammentreffen zu sprechen, denn gerade in dem
Augenblick, in dem der heute 43jährige zu einer Gestaltungs-
weise verstieß, die nur ihm gehört, bot sich ihm mehrfach die
Chance, vor eine internationale Offentlichkeit zu treten.
Immer ist, von der unmittelbaren Gegenwart aus gesehen, die
bisher zurückgelegte Strecke eines Künstlers nur Vorläufigkeit,
Hinweis und Versprechen. Immer erklärt das Heute das Gestern
- und umgekehrt. Wer genetisch sieht, vergewaltigt das Einzel-
wcrk - dennoch ist es schwer, aus der punktuellen Betrachtung
von Einzelwerken Aufschluß über die Dynamik ihrer Form-
gesetzlichkeit zu erlangen. Ich konzentriere mich darum, der
Beschränkung dieses Verfahrens eingedenk, auf die Darstellung
einer Entwicklungsreihe, denn es geht mir um den Nachweis der
Tatsache, daß Hoflehner in den letzten zwei Jahren eine wich-
tige neue Formstufe eingenommen hat.
Vorerst ist vom Material und seiner Behandlung zu sprechen.
Die Eisenplastik, wie Hoflehner sie handhabt, hat keinerlei Be-
Ziehung zum Schmicdehandwerk. Der Künstler bedient sich
massiver Blöcke (Vierkant- und Rundmaterial), denen er zu-
nächst mittels des Schneidbrenners die erwünschte Formgestalt
gibt. Sieht man davon ab, daß er mit einem mechanischen Appa-
rat umgeht, so hat dieser Arbeitsvorgang mit dem des Stein-
bildhauers eine gewisse Ähnlichkeit.
Der rohen Bearbeitung durch den Schneidbrenner folgt das Zu-
sammenschweißen verschiedener Blöcke zu komplexen Form-
einheiten. Sichtbar stehengelassen, bilden die Schnittflächen mit
ihren mehr oder weniger tiefen Furchen ein wichtiges Aus-
druckselement, ebenso wie aufgeschweißte Klammern, Stege und
und Spangen dem Rohmaterial des Blockes neue Formwerte
hinzufügen („Figur 8", 1958). Man könnte also den Akt des
Schweißens mit dem Arbeitsvorgang des Modelleurs in ein -
wenn auch entferntes - Analogievcrhältnis setzen. Wieder liegt
der Unterschied darin, daß dieser mit der Hand arbeitet, der
Eisenplastiker jedoch mit dem Schweißapparat. Was beim Stein-
bildhauer das Stemmciscn besorgt, vollbringt bei der Eisen-
bearbeitung dic Schleifmaschine. Sie glättet die Oberfläche oder
setzt flache Kerben, sie gibt ihr eine funkelnde, schimmernde
Unruhe, die wie gehämmcrt aussieht.
Alle diese Arbeitsvorgänge greifen ineinander, sie folgen keiner
schematischen Gebrauchsanweisung. Daß sie starken physischen
Einsatz verlangen, bedarf wohl kaum der Betonung. Man über-
sehe auch nicht, daß das Zusammenfügen der einzelnen Form-
bausteine - vgl. „Figur 8", 1958 - cin Vorgang ist, der sich
nur schwer rückgängig machen liißt und der demnach von einer
klaren Gestaltvorstellung ausgehen muß.
Bis etwa 1957 arbeitete lloflehner bei den großen Figuren an
der Artikulation massiver, vertikal betonter Gliedmaßen, die
er zu Variationen über das Schreiten und Stehen verstcmmte.
Schon damals fesselte es ihn, aus einem kantigen Stab Teile
abzuspalten, gleichsam Kerben zu schlagen und solcherart an
den Stoßpunkten zweier Glieder gclcnkartige Verdichtungen
oder gewaltsame Bruchstellen zu schaffen. Dann ging er weiter
zur pfeilcrhaften Vereinfachung, brach die Masse des Blocks mit
dem Schneidbrenner auf und setzte die beiden gespaltenen Hälf-
ten in konstruktive Beziehung zueinander. Damit blieb die
Masse gewahrt (und sogar symmetrisch gcfaßt), zugleich wurde
sie in ein Wechsclgespräch aus Innen und Außen, Spalt und
Wölbung, konkav und konvex gebracht.
Der durchgehende Vertikalzug wird nun gebrochen und ent-
weder den Schweißstegen übertragen („Figur 8", 1958), oder auf
rhythmisch fein gcstufte Abschnitte verteilt („Figur 14K",1959).
Zwar arbeitet Hoflehncr auch heute noch an Figuren, deren
Körperlichkeit organische Schwellungen und Einziehungen be-
sitzt, doch glaube ich, daß ihn die wichtigeren Gestaltungs-
probleme im Umgang mit dem gespaltenen Rund- bzw. Vier-
kantblock erwarten. (Die vertikale Spaltung verrät bereits eine
bestimmte Forrngesinnung; sie gibt dem Künstler das Richt-
maß aller seiner großen Figuren in die Hand: die Mittelachse.)
Da liegt also das Alphabet sein -r Formensprache und die Mög-
lichkeit, mit einem verhältnismäßig begrenzten Repertoire an
Elementen zu starken Lösungen zu gelangen. Nicht zu wahllos
kompilierten, sondern zu kohärenten Gebilden, deren Geschlos-
senheit jedermann einsichtig ist.
2.
Ich stelle das Werk Hoflehncrs vor die entscheidende Frage: wo
steht es innerhalb des gegenwärtigen, reich besetzten Kräfte-
fcldes der Eisenplastik? Nun ist zu klären, ob diese Arbeiten,
deren folgerichtige Entwicklung im vorangehenden Abschnitt
beschrieben wurde, den Rang einer Leistung und das Gewicht
eines persönlichen Beitrages zur Geschichtslage besitzen. Hof-
lehner hat diesen Vergleich nicht zu scheuen, vielmehr gewinnt
das, was er mit eigenen Sprachmitteln ausdrückt, aus der Kon-
frontation mit den Zeitgenossen den eindeutigen, unverwechsel-
baren Umriß.
Es wäre billig, Richtungen und Persönlichkeiten gegeneinander
auszuspielen und den einen oder anderen Gestaltungsweg zum
allein richtungweisenden zu proklamicren. „Keiner ist Maßstab
für alle; jeder nur Maßstab für sich und für dic mehr oder
weniger ihm verwandten Gemüter." Dieses Wort von Caspar.
David Friedrich ist heute ebenso gültig wie vor 150 Jahren.
Indes: jeder Einzelne besetzt mit seinem Werk ein kleines oder
großes Stück Terrains, das ihm die schöpferische Situation
seiner Zeit als „Möglichkcif anbietet. Und dieser subjektive
Beitrag zum allgemeinen Geschichtsbild entscheidet letztlich
über seinen Rang. Das hat nichts mit Entwicklung im Sinne
von Fortschritt zu tun, sondern enthält, abstrakt formuliert,
die Frage: wie weit hebt dieses oder jenes Lebenswerk das Be-
wußtscin einer künstlerischen Gattung (Architektur, Malerei,
Plastik) auf eine ncue Stufe? Oder auf den hier zu erörterndcn