JOSEPH HAYDN
REDli ZUR ERÖFFNUNG DER HAYI)N-AL'SST'I-ILLUN(J IN DER NEUEN HOFBURG
Von LI
.OPOLD NOWAK
In der Tonkunst gibt es den Begriff des Kontrapunktes: Ge-
setze, denen zufolge Melodien miteinander zu einem wohlklin-
genden Ganzen verbunden werden; ja, noch mehr: man kann
ihre Gestalt verändern, man kann sie umdrehen, kann sie ver-
größern, aber auch verkleinern, und doch werden sie sich immer
mit den begleitenden Stimmen zu einer Komposition fügen, die
kraft dieser Gesetze in logischem Gleichgewicht steht, Sinnbild
und Beweis harmonischer Ausgewogenheit.
Das liißt sich auf uns Menschen übertragen. Auch wir sind auf-
einander angewiesen, tragen eine Melodie durchs Leben, unseren
Charakter, und müssen zusehen, daß wir mit den anderen „Me-
lodien" unserer Umgebung zusammenstimmen. So bestehen Ähn-
lichkeiten zwischen Kunst und Leben.
Kunst ist aber nicht nur Abbild dieses Lebens, sondern auch
selbst eine lebendig tätige Kraft. Sie wirkt am strahlendsten
aus jenen Menschen, denen die Gnade von oben den Genius des
Schöpferischen verliehen hat. Eines solchen Künstlers gedenken
wir heute, da wir im Begriffe stehen, diese Ausstellung zu seiner
Ehre zu eröffnen: joseph Haydn.
Es galt, den Charakter dieses großen österreichischen Ton-
künstlers darzustellen in seinem Werk, und das geschah auf
eine Weise, die von den bisher gepflogenen grundsätzlich ab-
weicht. Man verzichtete auf eine Aneinanderreihung von lland-
schriften, Bildern, Dokumenten in zeitlicher Abfolge und ver-
suchte dagegen, das Lebenswerk durch seine einzelnen Gattun-
gen mit Beispielen von ausgesuchter Kostbarkeit in Erinnerung
zu rufen. Nicht die Fülle von Handschriften und Drucken sollte
Eindruck machen, ein Eindruck, der übrigens leicht verwirrt
und den nicht fachlich gebildeten Besucher eher von sich stößt
als anzieht, sondern die Einmaligkeit und Kostbarkeit der
Stücke selbst. Dabei darf man noch zu bedenken geben, datl
die Kostbarkeit einer Musikhandschrift dem Bescliauer nicht
sogleich zum Bewußtscin kommt: sind es doch lediglich lälittter
einfachen Papieres, mit Notenlinien, Köpfen, llälsen und son-
stigen Zeichen bedeckt. Nur dem Musiker verhelfen sie zu
klingendem Eindruck, für den Großteil der übrigen BUMJltALICl'
aber bleiben sie stumm. Weder Gold, noch Edelstein, keine Far-
ben, keine prächtigen Stoffe finden sich an ihnen, und dennoch
gehören sie zu den bedeutendsten Schätzen der Welt: die Skizzen
zur „Schöpfungf die Nclson-Messe, die Streichquartettc op. I7
und 20 oder das "Gott erhalte". Millionen Menschen haben aus
der Musik, die llaydn diesen Blättern anvertraute, Erhebung,
Freude, Trost empfangen. Darin liegt ihr Wert, er ist aber nicht
sichtbar, er muß gedacht werden, er gehört dem Geiste zu.
Für diese Ausstellung trat also an die Stelle der Bindung, die
im zeitlichen Ablauf liegt, jene, die im Wesen der einzelnen
Musikgattung begründet ist. Dies wird durch (Jcgenstiinde des
Kunstgewerbes und des täglichen Lebens aus der Zeit Haydns
erreicht. Vor des Beschaucrs geistigem Auge sollen Raum und
Umgebung aufsteigen, für die llaydn die einzelnen Werke schuf.
Bei den Messen wird ein kostbares Ziborium mit Kronendeckel
und ein Vespermantel aus der zweiten Hälfte des 18. jahr-
hunderts an die Pracht der Gottesdienste in der Bergkirchc zu
Eisenstadt erinnern. Fürst Nikolaus ff. veranlaßte sie zum Na-
mcnstage seiner Gattin Maria Hermenegild. Die gleichzeitig
ausgestellten Autographen der Nelson- und Theresienmcsse be-
inhalten die Musik, die von Haydn für diese Hochämtcr kom-
poniert wurde. Aber auch Beethovens C-dur-Messe gehört an
diesen Ort, ist sie doch für den gleichen Anlaß entstanden.
Anders wieder verhält es sich mit den Instrumcntalkonzerten.
Wir empfangen sie hcute im Konzertsaal. Zur Zeit Haydns war
das Konzert noch eine aristokratische Angelegenheit und stand
meist in der Nähe einer sowohl mit Speisen, als Blumen, Por-
zellan und Silbergegenstiinden reich besetzten Tafel. Daher wird
man in diesen Vitrinen ncbcn dem H0rn-, Trompeten- und Cello-
konzert eine kostbare Porzcllanvase von 1790, aber auch einen
etwa 40 Jahre früher entstandenen Eßteller mit Salzfäßchen
erblicken. In ähnlicher Absicht zeigt die Vitrine mit den Sym-
phonie-Skizzen die Porträts von Fürst Nikolaus Esterhäzy dem
Prachtliebenden, und seiner Gemahlin Maria Elisabeth. llaydn
hat unter seiner Regierung auf dem Gebiete der Symphonie jcnc
Höhe erreicht, die ihn dann befähigte, für England seine zwölf
Londoner Symphonien zu schreiben. Fürst Esterhzizy war es, der
Haydn den dazu vorbereitenden Lebensraum schuf. So ist eine
Beziehung zwischen den Bildern und den Skizzen gegeben, wenn
auch diese Symphonien nicht mehr für Fürst Esterhäzy entstan-
den sind.