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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 5)

ihren bescheidenen Kräften die neuen Ausdruckslormen 
eines gesteigerten seelischen Emplindens. Andererseits 
fließen niemals verloren gegangenes heimisches Gedan- 
kengut, heimische Überlieferung und bodenständige Ge- 
sinnung in unzähligen Bächlein in den breiten Strom des 
durch die hohen Vorbilder der Meisterschaft erweckten 
kulturellen Schallens. „Baroek" ist an sich ein interna- 
tionaler, ein europäischer Lebensstil, aber jedes Volk und 
jedes Land schafft sich die eigene Gestalt seiner Er- 
scheinungsiorm. 
Barock ist vor allem ein sinnliches und zugleich irratio- 
nales Raumerlebnis eigener Art. Der Erweiterung und 
Zusammenfassung des territorial-politischen Raumes 
entspricht ein geistiges Raumerlebnis und eine weit- 
gespannte Reaktionsfähigkeit des Gemütes. Die bildhafte 
Darstellung dieses Raumerlebnisscs macht auch vor dem 
Grenzenlosen und Zeitlosen nicht halt. Der Erdenraum 
mit seinen Wundern, der Raum zeiterfüllter historischer 
Erkenntnis, der Raum des mystisch-religiösen Erlebnisses 
in Himmelsweiten, das alles fügt sich zusammen und 
drängt eine hemmungslose Phantasie und ein anspruchs- 
volles Gestaltungsvermögen zu beispielloser Schaffens- 
lreude. Barock ist Pathos in sinnhalter und symbolischer 
Gebärde. Wo die zeitgebundenen Erkenntnismittel ver- 
sagen, tritt die sinnvolle Allegorie an ihre Stelle. In hi- 
storischer Verkleidung programmatischer Allegorie und 
Anspielung soll der tiefere Sinn der Gegenwart gedeutet 
werden. Ein überschwcngliches Gefühl durchströmt die 
geformte künstlerische Gestalt. Das Ungewöhnliche und 
Großartige will sich dem staunenden Auge offenbaren, 
der Glanz irdischer Herrschaft und himmlischer Glorie, 
der Wissenschaften und Künste. Theatralisch und auf 
Eindruck berechnet ist das prunkhafte Zeremoniell im 
weltlichen und geistlichen Bereich und fürstliches und 
kirchliches Bauen schaffen Raum und Rahmen für die 
Entfaltung eines sinnhaften Schauspieles. Die Macht und 
Kraft des Symbolischen durchbricht die rationalen Gren- 
zen strenger Gesetzmäßigkeit, die Phantasie triumphiert 
über die Logik. 
Barock bedeutet Ehrfurcht und Bewunderung für das, 
was man als groß empfindet. Der mächtige Fürst, der 
erfolgreiche Stratege, der ekstatische wundertätige Hei- 
lige, heroische Leistung, heroisches Opfer und Leiden, in 
zahllosen Varianten wird das alles zur Anschauung ge- 
bracht, soll entzünden, hinreißen und zur Nachahmung 
bewegen. Barock will das Leben, das Leben in dieser 
Welt, das Leben nach dem Tode in himmlischer Gloric 
oder auch in irdischem ewigem Gedächtnis. Er will auch 
das Leben der Vergangenheit, der Tradition, der Ge- 
schichte. Es ist ein eminent geschichtliches Zeitalter; 
denn die Größe leitet sich ab aus der Geschichte, die 
Größe des Vaterlandes und die Größe des eigenen Ge- 
schlechtes. Die Großriiumigkeit barocker Lebensschau 
erstreckt sich also auch über den zeitlichen Raum in die 
Vergangenheit und Zukunft. 
Man versteht die Spannungen, die sich aus einem der- 
artig vielfältigen Komplex der Lebensform und des Le- 
bensinhaltes ergeben müssen, die Spannung zwischen 
Weltsinn und Weltüberwindung, die Spannung zwischen 
Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Herrentum und 
Dienst, zwischen reich und arm, vor allem aber die er- 
regende Spannung zwischen Schein und Wahrheit, Diese 
Zeit ist erfüllt von solchen Gegensätzen und daraus ent- 
springender Erregung, sie ist zu großer Begeisterung 
fähig. Der innige Augenaufschlag zum Himmel, die in 
Inbrunst über der Brust verschlungenen Hände, die wie 
von einem inneren Geisteswehen bewegten Gewänder, 
sie gehören ebenso zu dem Wesen der Zeitidee wie der 
gebietende Held auf sprungbereitem Roß und die Wallen- 
den Togen der Majestät, die funkelnden Ketten und 
blitzenden Juwelen, aber auch wie der phantastische 
Reichtum an leuchtenden Farben und theatralischen 
malerischen Konzeptionen. 
Imperium und Sacerdotium, Herrschaft und Priestertum, 
Reich und Kirche, das sind die universalen Themen in 
Geschichte und Gegenwart. Was geschaffen wird, soll 
nicht allein dem augenblicklichen Bedürfnis lebender 
Geschlechter dienen, sondern zugleich Denkmal für die 
ferne Zukunft sein: „Denn dieses ist die einzige und 
höchste Ursache der vornehmen und stattlichen Gebäu - 
der unsterbliche Name und Ruhm und ewige Gedächtnus, 
so von dem Structore hinterlassen wird." So hat diesen 
Geist einer der großen Bauherrn des Barock, Fürst Karl 
Eusebius Liechtenstein in seinem „Werk von der Archi- 
tektur" schon im 17. Jahrhundert gekennzeichnet. 
Barock sieht das Leben als ein Schauspiel, die Welt als 
eine Bühne, auf der sich in einer unerhört reichen und 
mannigfachen Szenerie das Spiel des großen und kleinen 
Daseins in spannender Formenfülle abwickelt. Der 
Mensch möchte alles handgreiflich sehen und versinnbild- 
lichen, die abstraktesten Gedanken, das gläubige Schauen, 
den moralischen Begriff, den ewigen Wettkampf der Gei- 
ster, die große umfassendc universale Idee. Der Kampf 
des Lichtes mit der Finsternis, der Tugend mit dem La-
	        
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