Barocker Prunk
in kirchlichen
Stickereien
DORA HEINZ
Seit dem hohen Mittelalter sind reichste und kostbarste
Werke der Stickereikunst zum Schmuck kirchlicher Ge-
wänder entstanden. Insbesondere in den Frauenklöstern
wurde die feine Stickerei der Paramente gepflegt; da-
neben aber waren schon seit der Spätgotik auch berufs-
mäßigc Sticker ti g. Sowohl von den Klöstern, wie auch
von diesen selbständigen Kunsthandwerkern getragen,
erlebte die kostbare Stickerei im Barock ihre letzte
künstlerische Blüte und ihre größte Ausbreitung. Von
der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte
des 18. Jahrhunderts fand die kostbare Nadelarbeit auch
in Österreich reiche Pflege; im Auftrag der Kirchen und
Klöster oder als Widmung an diese entstand in dieser
Zeit die reiche Fülle prunkvoller Ornate, die heute -
da die gleichartigen Werke weltlicher Bestimmung zum
weitaus größten Teil verloren gegangen sind -, noch
den ganzen Reichtum und die Vielfalt der Möglichkeiten
barocker Stickkunst vor Augen führen können.
Bis zum Ende des 17. )ahrhunderts bestimmt üppigstcr
Aufwand den Charakter der Paramente. Auf immer neu
sich vcrzweigenden Ranken geordnet, füllen die Blüten
in ihren charakteristisch stilisierten Formen den ganzen
Raum und bedecken den Grund fast vollständig. Star-
kes Relief in verschiedenen Höhen und vielfältige In-
nenmusterung bereichern die Goldstickerei noch um
plastische Effekte; reichlich verwendete Pailletten he-
leben den Grund durch flimmerndc Lichtreflexe (Abb. 1).
Um 1710 verlieren die Muster an Dichte, die Einzelmo-
tive an Schwere. Die unendlich wandlungsfähigen For-
men des Laub- und Bandelwerks bringen Klarheit und
betonte Gliederung in die Dekorationen. Gegenüber dem
Reichtum der Zeichnung hält sich die Farbigkeit in sehr
zurückhaltenden Grenzen, Gold und Silber bestimmen
vorherrschend den Eindruck (Abb. 2 und 3). Die Leich-
tigkeit und Zartheit der Stickerei mit ihrem durchbro-
chenen Gitterwerk läßt nun auch den Stiekgrund stärker
mitsprechen.
Erst um 1730 werden die farbigen Akzente kräftiger, die
buntfarbige Seidenstickerei in reichen Schattierungen
tritt in den Vordergrund. Die naturfeme Ornamentik
des Laub- und Bandelwerks weicht üppig sich entfalten-
den großen Blumenmustern (Abb. 4). Phantasievollste
Erfindung und beginnender Naturalismus der Einzel-
motive mischen sich in dem reichhaltigen Formenschatz
der Muster mit ihrer leuchtenden Farbenpracht. Diese
prunkvollen Stickereien der liturgischen Gewänder fü-
gen dem vollen Ensemble der Praehtentfaltung in den
Kirchen der Barockzeit noch einen letzten Akzent zu.
1, 2 Stickerei von der Kasel und Min-a des Bcrtholdiornzncs
aus dem Benediktinerstift Melk. Goldreliefslickerei mit etwas
bunter Seide auf weißem Grund. 1712 im Auftrag des Abtes
Berthold Dicrmayr von dem Perlsticker Johann Jakob Edl-
mannsperger ausgeführt.
3 Gremiale aus dem Bcnediktinerstilt Seitcnslcnen. Gold-
reliefstickerei auf rotem Damast, Goldspitze. In der Mitte Wap-
pen des Abtes Ambros Pi-euenhubcr mit dem Damm 1726 von
einem Bergknappen gehalten, als Hinweis auf die Herkunft des
Abtes aus Eisenerz.
4 Kasel aus dem Chorhcrrensrift St. Florian. Auf weißem Sei-
dcnrips Goldstickerei und große phantastische Blüten in leuch-
tend bunter Seide. 1730-40.
26